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Über Menschen

Autorin

Juli Zeh

 

"Ich bin ohnehin eine Schriftstellerin, die stets versucht, möglichst nah am Puls der Zeit zu schreiben.

Bei "Über Menschen" ist das noch intensiver geworden. Ich hatte die erste Fassung des Romans schon geschrieben, als sich die Pandemie über die Welt auszubreiten begann. Für mich war es ausgeschlossen, an dem Text weiterzuarbeiten, ohne darauf zu reagieren. Deshalb habe ich den Roman ein zweites Mal von Neuem geschrieben und die aktuellen Ereignisse mit einfließen lassen. Das war einerseits ein Wagnis, so nah an den täglichen Entwicklungen zu schreiben, andererseits war es aber auch spannend und für mich eine Möglichkeit, Dinge zu verarbeiten, die für uns alle schwer und belastend sind."

Zitat: Juli Zeh

 

Inhalt

Dora, sechsunddreißig Jahre alt, ist eine erfolgreiche Werbetexterin. Sie lebt mit Robert, ihren überspannten Freund mit Übermotivation fürs Klima zusammen und befindet sich selbst im Homeoffice des Corona-Lockdowns. Doch sie hält es in ihrer WG mit Robert nicht mehr aus. Sie braucht Veränderung, ein Ortswechsel ist die Lösung. Sie zieht mit ihrem Hund in ein kleines brandenburgisches Dorf. Bracken, ein kleines Straßendorf. Schon vorher hat sie heimlich ein altes Gutsverwalterhaus, 4000 qm renovierungsbedürftig auf einem verwilderten Grundstück mit großen Bäumen gekauft. 

Sie richtet sich ein und merkt schnell, dass es auch ein neues Leben mit Andersdenkenden wird. Gemeinsam mit ihrem Hund Jochen-der-Rochen entdeckt sie zunehmend eine für sie fremde Welt.

 

„In Doras Augen ist Nachbarschaft eine Form von Zwangsehe. Man kann glücklich miteinander werden, aber die Wahrscheinlichkeit ist nicht sehr hoch.“ (S. 40)

 

Sie lernt Gottfried, genannt Gote, kennen, der sich Dora direkt als Dorfnazi vorstellt. Er verfügt über einen Schlüssel zu ihrem Haus. Sie lernt den Handwerker Heini kennen und das Paar Tom und Steffen. Von allen erfährt sie große Hilfsbereitschaft, wie sie es bisher noch nicht kannte. Früher wurde ihr von ihrem Vater, dem berühmten Gehirnchirurgen aus Münster und auch von ihrem Bruder das Weltbild vermittelt, dass „Menschen dazu da sind, sich um ihn zu kümmern. Besonders Dora." (S. 111) 

Doch hier in Bracken herrschen andere Regeln.

 

"In Bracken ist man unter Leuten. Da kann man sich nicht so leicht über die Menschen erheben." (S. 128)

 

Es gibt eine Nachbarschaft, bei der jeder jedem hilft. Das Fahrrad ist keine Leihgabe, sondern ein Geschenk. Plötzlich liegt ihre Matratze auf einem eigens für sie angefertigten Bett und auf ihrem Lieblingsplatz, dem Treppenabsatz vor dem Haus, stehen eines Tages Küchenstühle.

Hier, in diesem Dorf mit seinen Menschen verändert sich etwas in Dora vom Nachdenken zum Umdenken. Sie beginnt ihr eigenes Leben neu zu sortieren.

 

Stil und Sprache  

 

„Weitermachen. Nicht nachdenken.

Dora rammt den Spaten in den Boden, zieht ihn wieder heraus, durchtrennt mit einem Hieb eine hartnäckige Wurzel und wendet das nächste Stück sandiger Erde. Dann wirft sie ihr Werkzeug beiseite und presst die Hände ins Kreuz. Rückenschmerzen. Mit – sie muss kurz rechnen – 36 Jahren. Seit dem fünfundzwanzigsten Geburtstag muss sie immer nachrechnen, wenn es um ihr Alter geht.“ (S. 7)

 

Der Roman hat 50 kleine Kapitel, die sich auf drei große Kapitel aufteilen. Die Sprache ist ist angemessen, präzise und sachlich,  allerdings fehlen Emotionen, Gefühle und Poesie. 

 

Juli Zehs Erzählperspektive ist an Dora ausgerichtet. Einfühlsam, intensiv und auch sehr scharfsinnig, manchmal zum Schmunzeln werden Menschen mit ihren Ängsten und Sorgen dargestellt. Das tägliche Leben wird pointiert mit skurrilen, witzigen und nachdenklichen, sehr traurigen Szenen. Trotzdem erscheint an der Oberfläche der Zusammenhalt in diesen herausfordernden Tagen einer modernen, aber unsicher und brüchig gewordenen Gegenwart. Wie ein Bild lässt die Sprache Menschen mit den unterschiedlichsten Facetten entstehen. Dora trotzt allen Spannungen zwischen Pandemie und Rechtsradikalismus auf angenehm pragmatische Weise. Juli Zeh beschreibt eine aktuelle und bewegende Geschichte  hautnah „am Puls der Zeit“. 

 

Fazit 

Juli Zeh ist eine sehr aktuelle und bewegende Geschichte gelungen, die zum Nachdenken anregt und unserer Gesellschaft den Spiegel vorhält. Vorurteile werden infrage gestellt. Kann man einen Nazi mögen? Man kann. Menschen finden zueinander, die normalerweise in der heutigen Zeit kaum noch zueinanderfinden würden. Menschen begegnen sich auf Augenhöhe. So scheint alles in Bracken möglich zu sein. 

 

“Weil du alles einfach haben willst, ist die Welt immer falsch für dich. Deshalb bist du auch so unruhig.” (S. 161)

 

 

 

 

 

Juli Zeh

Unter Menschen

 

Luchterhand Literaturverlag, 22 März 2021

 

 

 

 

 

 

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