Fußball - Das Sommermärchen 2024 in anderer Form
Joseph O'Neill wurde 1964 als Sohn eines irischen Vaters und einer türkischen Mutter in Cork, Irland, geboren und wuchs in den Niederlanden auf. Er studierte Jura an der Universität Cambridge und arbeitete als Anwalt in London. 1998 zog er nach New York. Dort lebt er heute mit seiner Familie. Sein Roman „Netherland“, der 2008 veröffentlicht wurde, wurde 2009 mit dem PEN/Faulkner Award ausgezeichnet.
Sein nächster Roman „Der Hund“ wurde für den Man Booker Prize 2015 nominiert.
In seinem herausragenden Bestseller „Netherland“ betrachtet er den Sport Cricket als ästhetisches und politisches Ideal, während er nun in „Godwin“ über Fußball schreibt.
Der Hauptplot der Geschichte ist rasch erzählt, aber Joseph O'Neill erweitert ihn um eine tiefgründige und umfassende Analyse unserer Zeit. Er setzt Fußball als Metapher eines Milliardengeschäfts rund um den Globus ein.
Zunächst stellt der Autor O`Neill seine Akteure vor.
Der Roman beginnt mit dem Kapitel „L“, in dem die Icherzählerin Lakesha Williams vorgestellt wird. Zusammen mit Annie leitet sie die P4-Group, eine Genossenschaft technischer Redakteure in Pittsburgh. Die P4-Group ist als Genossenschaft organisiert, wodurch alle Mitglieder ein Mitspracherecht haben und monatliche sowie jährliche Beiträge zahlen. Der Beruf des technischen Redakteurs wird als anspruchsvoll beschrieben, was zu hoher Fluktuation führt. Die P4-Group wurde von vier Frauen gegründet, von denen zwei die Leitung innehaben. Ein Problem der Group ist der „Männermangel“, was ihnen peinlich ist, da sie nicht als Feministinnen gelten wollen. Lakesha beschreibt das Großraumbüro als Teil eines „Arbeiterparadieses“ mit modernen Arbeitsplätzen und gemeinschaftlicher Reinigung, an der auch die Chefs teilnehmen.
Mark Wolfe wird als seltsam, aber auch charismatisch beschrieben, obwohl ein Kunde ihn als außerordentlich unhöflich und wenig hilfsbereit empfindet. Wolfe selbst ist davon überzeugt, dass der Kunde "dumme und respektlose Forderungen" stellt (vgl. S. 15). Er durchläuft eine Phase emotionaler Instabilität und mangelhafter Selbsterkenntnis, was von der Gruppe wahrgenommen wird. (vgl. S. 17)
Im zweiten Kapitel „M“ tritt Mark Wolfe als Icherzähler auf. Ein prägendes Erlebnis im Winter, bei dem er eine Frau durch eine Schaufensterscheibe beobachtete, wie sie ein Eis aß, führte ihn zu einer Reflexion über sein eigenes Spiegelbild im Schaufenster. Er sieht einen verwahrlost aussehenden Mann mittleren Alters, dessen Empfinden gestört ist, als er eine ältere Frau beim Eisessen beobachtet. (vgl. S. 27)
Geoff, Marks Halbbruder, ruft ihn an und bittet ihn nach England zu kommen, da er dort ein "interessantes Geschäft" sieht. Trotz anfänglicher Bedenken überredet Marks Frau ihn schließlich, der Bitte nachzukommen, da er seinen Bruder schon lange nicht mehr gesehen hat. Geoff besitzt ein Video von einem bemerkenswert talentierten jungen Fußballspieler, den Mark dabei helfen soll, zu finden. Unterstützt wird er dabei von einem Franzosen namens Lefebvre.
Die Suche nach Godwin beginnt.
Joseph O'Neill untersucht in seinem Roman "Godwin" die Komplexität der Globalisierung und des modernen Fußballs als kulturelles Phänomen. Er nutzt den Sport geschickt als Rahmen, um tiefgreifende Themen wie Globalisierung, Kapitalismus und die Suche nach Talenten aus verschiedenen Teilen der Welt zu erforschen. Durch sorgfältig entwickelte Charaktere und ihre miteinander verwobenen Geschichten entsteht eine Erzählung von großer Vielschichtigkeit und Tiefe. Zentral steht dabei die Figur des Godwin, die als Metapher für ein unentdecktes, großes Talent fungiert und dem Roman eine mystische Dimension verleiht. Besonders hervorzuheben ist O'Neills Betonung auf Afrika als bedeutende Quelle für unentdeckte Fußballtalente, was sowohl ökonomische Chancen als auch kulturelle Herausforderungen beleuchtet. Der Roman bietet durch Geschichten innerhalb von Geschichten verschiedene Perspektiven und behandelt Themen von persönlichen Träumen bis hin zu globalen Ambitionen. Insgesamt reflektiert der Roman "Godwin" über Identität, Werte und die Suche nach Erfolg in einer zunehmend vernetzten Welt im Zeitalter der Globalisierung. Fußball dient hier nicht bloß als Thema an sich, sondern vielmehr als Metapher für tiefgreifende gesellschaftliche und kultureller Fragen, die O'Neill anspricht, darunter Kolonialismus, Sklaverei, Vertreibung, Migration sowie die Geschichte und die zukünftigen Perspektiven Afrikas.
Der Schreibstil ist zwar sachlich, doch die Fabulierlust ist deutlich zu spüren. Humor und satirische Einblicke kommen dabei nicht zu kurz.
Fazit
Die Erzählung „Godwin“ nimmt unerwartete und faszinierende Wendungen, aber was mich wirklich überrascht hat, war die parallele Geschichte von Lakesha, der Gründerin einer Schreibkooperative. Lakesha ist wohlmeinend und strebt danach, fair und ehrlich zu handeln, obwohl sie manchmal ausgenutzt wird. Ihre Geschichte und die von Wolfe überschneiden sich nur gelegentlich. Anfangs war ich darüber verwirrt, aber ich las weiter, um zu sehen, wie O'Neill diese beiden Handlungsstränge miteinander verweben würde. Meiner Meinung nach gelingt es ihm ziemlich erfolgreich, die verschiedenen Erzählungen zu verbinden und eine stimmige Gesamterzählung zu formen.
Das Ende ist überraschend.
Im Fußball gab es das „Sommermärchen“ im Jahr 2006. Jetzt wiederholt es sich 2024, wenn auch in etwas anderer Form.
Godwin
Joseph O’Neill
Rowohlt Verlag, Hamburg
erschienen 18.06.2024
Arbeit zitieren
Autorin Petra Gleibs, Juli 2024, BuchvorstellungJoseph O` Neill, Godwin
https://www.lesenueberall.com/2024/07/02/godwin/
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