Autorin
Dorothe Elmiger
Zucker ist süß Zucker macht krank Zucker macht süchtig Zucker kristallisiert Zucker das weiße Gold
Das Leitthema Zucker als Metapher. Themen wie Heißhunger, Askese, Glückssuche, wirtschaftlicher Zwang, Abhängigkeit und auch Begehren, Genuss, Gewalt, Kolonialismus, Ökonomie, Verteilungsgerechtigkeit, Glückssuche, Sexismus und andere.
Diese Themen zwängt Dorothe Elmiger in kein Korsett eines Romans, sondern erzeugt durch einzelne Flashs eine Gewitteratmosphäre. Ein leises Grollen wird zu einem lauten Donnerwetter, der Blitz schlägt ein. Nach einem Gewitter ist die Luft gereinigt und klar. Doch bei Dorothe Elmiger wird nach einem Gewitter die Wetterlage nicht bereinigt, sondern sie öffnet das Innere mit einem Blick auf die Komplexität dieser Welt.
Eine Zettelsammlung, Dialoge, Textfragmente, Gedankenfetzen, historische Einschübe blitzen scheinbar wild durcheinander uf. Oder sind es die Gedankengänge eines Patienten auf der Couch bei seinem Psychiater? Oder sind es nur Träume?
Die Schweizer Autorin selbst hat ihr Buch als Recherchetagebuch bezeichnet.
Die Texte sind scheinbar zusammenhangslos aneinandergereiht und oftmals erschließt sich der Sinn nicht. Doch Zucker kristallisiert sich immer wieder raus.
In Übersee auf den Plantagen
„Immer scheint jetzt schon die Sonne, wenn ich aufwache.
Im Fernsehen ein Dokumentarfilm über eine Ananasfarm
In der Nähe von Santo Domingo. Weiter, weiß bewölkter
Himmel. In den Feldern werfen sich die haitianischen
Arbeiter die reifen Früchte zu.
Dann tritt der Ananaskönig ins Bild, er steht auf dem Acker
und redet in die Kamera. Bevor er die 180 Hektar in den
Achtzigern kaufte, war er Gemüsebauer im Züricher
Unterland.
Die Sembradores setzen Setzlinge im Akkord in die Erde.
Der Ananaskönig misst für das Fernsehen den Zuckergehalt
seiner Früchte.
Später zahlt er die Löhne aus.
Auf dem T-Shirt eines Arbeiters: "MY SKILLS NEVER END“. (S. 10)
Dieses erste Textfragment führt ein in die Thematik. Das System der Plantagenwirtschaft wird gegenübergestellt dem Genussgut in Europa. Ananas für Zucker als Profit, Arbeiter die im Akkord die Ananassetzlinge einpflanzen, für wenig Lohn, die wirtschaftliche Verbesserung vom Gemüsebauer aus Zürich zum Ananas Plantagenbesitzer auf Haiti. Zucker, das weiße Gold.
„»Es gibt sehr viele Texte, die eigentlich am Zucker gewisse Fragen aufwerfen, zum Beispiel das Verhältnis von Europa oder europäischen Arbeiter*innenschaft zur Zeit der Industrialisierung und diesen Kolonien wie Haiti. Dieser Zucker steht einerseits also für dieses wirklich mörderische System der Plantagenwirtschaft und wurde gleichzeitig als Genussgut in Europa konsumiert«, sagt Dorothee Elmiger. Und so sei sie "in dieser Zuckersache" in ganz verschiedene Richtungen gegangen, der Zucker sei plötzlich überall wieder aufgetaucht.“
Quelle:
Zucker kristallisiert sich in Lektüre, Filme, Träume, Kapitalismus, historische Literatur und Figuren, Hunger und Tod.
Unüberwindbare Kulturunterschiede
„Spätnachts: Der Kondensmilch trinkende Klaus Kinski
In »Burden of Dreams« (1982), der es nicht über sich
bringen kann, das Getränk (Masato), das die Frauen im
peruanischen Regenwald zubereiten, indem sie die Wurzel-
knollen der Maniokpflanzen erst kauen und dann wieder
ausspucken, zu trinken. „(S. 40)
Passage über die an Wahnsinn erkrankte Ellen West
„Es handle sich heißt es in der Forschungsliteratur, bei
der Entscheidung, zu essen oder nicht zu tun, um eine
Obsession mit dem Tod, die Patientin EW habe die Frage
nach Leben oder Tod am Beispiel des Essens verhandelt, es
Ist ist die Rede von der great depression, der Melancholie, […].“ (S. 44)
Eine Reihe von Assoziationen, Metaphern, die Vielseitigkeit des Lebens spiegelt „Aus der Zuckerfabrik“.
Anspielungsreiche Überschriften wie „Plaisir“ „Swan Lake“, „Ávila“ oder „Montauk“, verweisen auf Orte, Personen oder Werke.
Fazit
Eine dichte Zettelsammlung aus Recherchen, Dialogen, historischen Referenzen, im Flattersatz geschrieben lassen den Leser nachdenklich zurück.
„Aus der Zuckerfabrik“ ist kein Buch zum Lesen, es ist ein Buch, mit dem man sich auseinandersetzen muss. Dabei gerät der Leser wie die Ich- Figur sehr häufig in ein „Gestrüpp“ aus Fragen.
„-So ungefähr: Ich gehe durchs Gestrüpp. Es tschilpen auch
einige Vögel.
-Und dann?
-Weiter nichts, es geht einfach immer weiter so.“ (S. 9)
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