· 

Das Lied des Propheten

„Das Lied des Propheten“ von Paul Lynch spielt in einer düsteren, dystopischen Zukunft und thematisiert die Auswirkungen einer totalitären Regierung. Die Wahl von Dublin als Schauplatz verstärkt die Parallelen zu Irlands Geschichte politischer Unruhen. Das Verschwinden von Eilishs Ehemann Larry, einem führenden Gewerkschafter, zeigt die Repression gegen kritische Stimmen und betont die allgegenwärtige Bedrohung in dieser neuen Realität.

 

Eilishs unerschütterliche Hoffnung auf die Rückkehr ihres Mannes, trotz aller Widrigkeiten, zeigt die menschliche Fähigkeit, selbst in extremen Zeiten an Hoffnung festzuhalten. Ihre Weigerung, die Realität anzuerkennen, verleiht der Geschichte eine tragische Note. Ihr Alltag, geprägt von der Pflege ihres Vaters und der Sorge um ihre Kinder, spiegelt ihren Versuch wider, in dunklen Zeiten Normalität zu bewahren.

Das Verschwinden Larrys zwei Wochen vor Weihnachten und der folgende Sommer betonen die andauernde Krise und deren tiefgreifende Auswirkungen auf ihr Leben. Die Geschichte beleuchtet die Spannungen zwischen individueller Widerstandskraft und einem repressiven Regime und fragt, wie viel ein Mensch bereit ist zu opfern, um zu überleben.

 

Der Schreibstil ist herausfordernd, mit wenigen Satzzeichen, fehlender wörtlicher Rede und langen, dichten Kapiteln. Die Sprecher sind oft nur aus dem Kontext erkennbar. Durch den Verzicht auf eine klare Struktur wird die direkte, ungefilterte Darstellung der Gedanken und Eindrücke der Figuren verstärkt, was intensive Reaktionen hervorruft. Lynchs Entscheidung, den Roman in Dublin anzusiedeln, macht die Handlung real und nicht dystopisch.

In diesem bedrohlichen Kontext wird die düstere, poetische Beschreibung der Bedrohlichkeit und die emotionale Intensität durch diese besondere Sprache verstärkt.

 

„Sie sieht Polizisten mit Knüppeln, die die Demonstranten zu unterwürfigen Gestalten prügeln …“ (S. 37)

 

Dieser Satz reflektiert kritisch staatliche Gewalt und die Unterdrückung von Protesten, indem er eine reale Situation schildert, in der die Polizei Demonstrierende gewaltsam niederschlägt. Die Dystopie ist hier bereits Realität.

 

Der Autor vermittelt die Ereignisse aus Eilishs Perspektive, was eine tiefere emotionale Verbindung ermöglicht. Der Leser erfährt die Auswirkungen des Machtwechsels unmittelbar durch ihre persönlichen Erlebnisse. Während der Fokus auf dem Alltäglichen liegt, stören politische Umwälzungen den gewohnten Rhythmus und offenbaren die Mechanismen der Verdrängung. Eilishs Vater bezeichnet die Opposition als „Terroristen“, was auf propagandistische Intentionen hinweist, und der Bürgerkrieg wird von Außenstehenden als bloße Unterhaltung betrachtet, was die Isolation und das mangelnde Verständnis verdeutlicht.

 

Der Roman ist nicht nur eine einfache Geschichte, sondern trägt eine tief emotionale und poetische Tiefe in sich, die die Leser:innen wie ein ergreifender Klagegesang berühren soll. Es warnt vor einer möglichen Zukunft, wobei die Politik im Hintergrund bleibt und der Mensch, hier Eilish, im Vordergrund steht. Eilishs Träume vermischen sich mit der Realität, wie in der Szene, in der John Stamm in ihrem Schlafzimmer steht und das Gesetz zitiert. Dieser Moment, der zunächst als Realität erscheint, erzeugt eine beklemmende, fast angsteinflößende Atmosphäre.

 

Paul Lynch integriert das Thema Demenz in seinen Roman durch Eilishs Vater, der trotz seiner Krankheit das Geschehen draußen genau beobachtet und richtig deutet. Demenz dient als Symbol für den Verlust von Geschichte und Kultur und verdeutlicht, wie Gesellschaften ihre gemeinsamen Erinnerungen verlieren oder verdrängen.

 

Fazit

Der Roman entführt die Leser:innen aus ihrer vertrauten Welt und präsentiert eindringliche Bilder, die alltägliche Situationen in einem neuen, oft verstörenden Licht zeigen. Durch die Erlebnisse der Protagonisten Eilish und Larry wird die Geschichte auf eine persönliche und emotionale Ebene gebracht, wodurch beim Leser Empathie geweckt und die abstrakte Bedrohung durch den Faschismus greifbarer wird. Die individuellen Dilemmata und Entscheidungen der Charaktere verdeutlichen die unmittelbaren Auswirkungen politischer Entwicklungen auf das Leben des Einzelnen. Obwohl der Roman oft als Dystopie bezeichnet wird, könnten die beschriebenen Zustände als fern oder unrealistisch erscheinen. Tatsächlich spiegeln sie jedoch die gegenwärtige Realität wider. Deshalb sollte der Roman eher als Spiegelbild der aktuellen Gesellschaft oder als scharfe Kritik an realen sozialen Missständen verstanden werden.

 

 

 

 

 

Paul Lynnch

Das Lied des Propheten

Übersetzung Eike Schönfeld

Verlag

Klett-Cotta

ErscheinungslandDeutschland

Erscheinungsdatum13.07.2024

Auflage2. Druckaufl., 2024

 

 

Arbeit zitieren

Autorin Petra Gleibs, August 2024, BuchvorstellungPaul Lynch, Das Lied des Propheten

https://www.lesenueberall.com/das-lied-des-propheten/ 

 

 

 

 

 

Kommentar schreiben

Kommentare: 0