Autor
Otessa Moshfegh
„Der Kriminalroman war ein kunstloses Genre, so viel war schon einmal klar.“ (S.93)
Inhalt
Die 72 Jahre alte Professorenwitwe Vesta Guhl lebt nach dem Tod ihres Mannes Walter in einer alten, abgeschiedenen Hütte an der amerikanischen Ostküste. Sie lebt mit ihrem Hund Charlie mitten im Wald. In ihrem Dorf namens Levant gibt es einen Birkenwald und einen düsteren Kiefernwald. Vesta meidet diesen Kiefernwald, weil er bei ihr allergische Reaktionen „wahrscheinlich gegen die Kiefernsporen oder eine Art Schimmel in der Luft“ (S. 33) hervorruft. Sie empfindet gegenüber den übergewichtigen, geistig eingeschränkten Einwohnern des Dorfes eine starke Abneigung und lebt vorwiegend in Isolation. Ihre Tage verbringt sie im Wald, in der Bibliothek oder in ihrer Hütte. Sie geht täglich mit ihrem Hund Charlie spazieren, und dabei findet sie einen Zettel auf dem Weg: "Sie hieß Magda. Niemand wird je erfahren, wer sie ermordet hat. Ich war es nicht. Hier ist ihre Leiche."
(S. 7)
Doch eine Leiche ist in der Umgebung nicht zu finden und Vesta fragt sich, was dieser Zettel zu bedeuten hat: Ist es nur ein Scherz, der Anfang eines Romans oder doch bittere Wirklichkeit?
Sprache und Stil
Zunächst ist es eine Mordgeschichte
Vesta beginnt den Mordfall und vor allem Magdas Leben im Detail zu rekonstruieren. Doch ihre Rekonstruktion findet in der Bibliothek statt, und sie konstruiert eine fiktive Biografie mit fiktiven Konflikten und Mordmotiven. Die Suche nach dem Schuldigen, um die Umstände des vermeintlichen Mordes an Magda zu klären, entspringt ihrer Fantasie.
Eine Fiktion in der Fiktion
Vesta konstruiert ihren Fall mit Hilfe einer Anleitung aus dem Internet mit dem Titel „Tipps und Tricks zum Krimi schreiben“. Sie soll Profile ihrer Figuren erschaffen, die über die jeweilige Situation hinausgeht, um sie damit lebendiger zu gestalten. Sie erkennt: „Der Kriminalroman war ein kunstloses Genre, so viel war schon einmal klar.“ (S. 93)
Es entsteht eine Fiktion in der Fiktion, die einen Antikrimi mit Witz entstehen lässt.
Vestas entsetzliche Lebensgeschichte nimmt Konturen an.
Je mehr sie versucht Magdas Leben zu rekonstruieren, desto mehr kommen zeitgleich die Geheimnisse ihres eigenen Lebens zum Vorschein.
Was zunächst eine Mordgeschichte war, entwickelt sich zu einer persönlichen Geschichte weiter.
Immer wieder rütteln Vesta Erinnerungen auf. In ihren Monologen versucht sie nicht nur dem Schuldigen auf die Spur zu kommen, sondern hört sich in Gedanken oftmals mit Walter reden.
„So etwas ist nichts für dich […]. Deine Nerven sind zu empfindlich. Du bist ein […] kleiner Spatz, aber du willst unbedingt ein Falke sein. […] tanz ein bisschen, kehr den Boden. Mein federleichtes kleines Mädchen.“ (S. 188)
Ganz langsam wird der Mantel um ihren verstorbenen Ehemann Walter fallen gelassen. Die Wahrheit ihres Ehelebens kommt ans Licht. Ihre Ehe mit Walters war für Vesta eine Geiselhaft und nun versenkt sie im Akt der Befreiung die Urne mit der Asche ihres Mannes im See. Endlich kann sie ihr eigenes Leben leben. Doch dann erscheint bei ihren weiteren Mordrecherchen plötzlich Shirley vor ihr und das Geschehen zwischen Fiktion und Realität nimmt noch einmal eine überraschende Wendung.
Über einen inneren Monolog erzählt Vesta die Geschichte. Ottessa Moshfegh lässt ihre Protagonistin mit einer sprachlich und dramaturgisch fintenreichen Sprache ihr Inneres erzählen. Das Erzähltempo wird durch den Monolog gemäßigt, da gleichzeitig in fast jedem Satz der komplexen Erzählung wichtige Informationen verborgen sind. Moshfegh erzählt eine Geschichte über eine Mordgeschichte, aus der eine wiederum neue Geschichte hervorgeht. Es entsteht teilweise eine irritierende Täuschung der Handlung durch unerwartete Kehrtwendungen und verwischen der Grenzen zwischen Realität und Fantasie.
Fazit
Ottessa Mosfegh „Der Tod in ihren Händen“ ist kein klassischer Kriminal- oder Detektivroman. Es gibt keinen Mörder und noch nicht einmal eine Leiche. Es ist vielmehr eine brillant inszenierte Geschichte, die mit einer guten Portion schwarzem Humor angereichert ist. Ein Antikrimi, bei dem auch Tricks und Tipps nicht helfen.
„Erschaffen sie eine dreidimensionale Welt. Ihre Figuren sollten ein Leben haben, das über die jeweilige Situation hinausgeht. Sie könnten das Arbeitsblatt verwenden, um Profile der Figuren anzulegen und sie lebensfroher zu gestalten.“ (S. 93)
Ottessa Moshfegh führt durch abgründige Charaktere und Gedankenlandschaften über das Verschwinden aus dieser Welt und den Tod in einer wahnhaften und doch realen Atmosphäre.
Birgit meint:
Ergänzend sei noch angemerkt, dass es auch die Geschichte einer großen Einsamkeit erzählt und des Abgleitens in wahnhafte Zustände.
Ja, dem stimme ich zu.
„Was für eine seltsame Verantwortung das war, den Tod eines Menschen in den Händen zu halten. Der Tod schien mir fragil wie tausend Jahre altes brüchiges Papier. Eine falsche Bewegung und alles würde mir zwischen den Fingern zerfallen.“ (S. 80)
Mein Dank an Birgit, die mir diesen hervorragenden Roman empfohlen hat.
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