Christine Wunnicke wurde am 29. Sept. 1966 als Tochter und einziges Kind eines Ärzte-Paares in München geboren. Nach dem Abitur 1985 in München studierte sie in Berlin und Glasgow Linguistik, Altgermanistik und Psychologie und schloss 1991 in Berlin ihr Studium mit einem Diplom in Psychologie und einem Magister in Linguistik ab.
Zahlreiche Romane und Erzählungen von ihr sind oft von historischen Stoffen und Figuren inspiriert. Der schwedische Naturforscher Carl von Linné (1701-1778) diente ihr als Anregung für den Roman "Die Kunst der Bestimmung" (2003), angesiedelt im barocken London.
Im Jahr 2022 wurde sie für den Deutschen Buchpreis nominiert und mit ihrem Roman "Die Dame mit der bemalten Hand" (2020) gelang ihr den Sprung auf die Shortlist und damit ins Finale. Auch diese kurze Geschichte verankert sie tief in die Historie und begleitet den Bremischen Forschungsreisenden Carsten Niebuhr auf die Insel Elephanta vor der Indien-Metropole Mumbai.
»Ein Lady-Gaga-likes Icon!«
VERENA HERTZ, HERTZLESE (INSTAGRAM)
Quelle: Berenberg Verlag GmbH, Berlin
Christine Wunnicke stellt nun die Römerin Margherita Costa vor, die jetzt auch bei uns nach 400 Jahren als Dichterin in den Fokus gestellt wird. Margherita Costa, geboren um 1600, gestorben 1657, vielleicht auch später, war ein Opernstar, eine außergewöhnliche Autorin, eine Kurtisane und noch vieles mehr. Sie schrieb 15 Bücher, die noch zu Lebzeiten teils mehrfach aufgelegt wurden.
Ich lebte wechselvoll, auf tausend Arten,
nach meinem Willen, Gut und Schlecht vermengt.
Ich lebte frei, bis mich zwei Augen narrten,
die mich in Liebesfesseln eingeengt.
Ich sah die Tugend, ich sah Missetaten,
bald war ich glücklich, bald in Gram versenkt,
doch niemals führte ich ein stilles Leben;
nach froher Ruhe will ich fortan streben. (S.13)
Die barocke Dichterin führt als Kurtisane und Schauspielerin ein für die Zeit ausschweifendes und bewegtes Leben. Sie verkehrt in den Kreisen der Medici und des Vatikans, aber sie pflegt auch eine lange Verbindung mit einem kalabresischen Raubmörder. Sie singt in Opern und dichtet, wechselt zwischen dem komischen und dem ernsten Fach und schlägt Rom und Paris gleichermaßen in ihren Bann. Beeindruckend sind ihre poetischen Fähigkeiten zu ihrer Zeit. Sie schreibt Textsorten aller Art, Prosa, Liebeslyrik und auch ein Pferdeballett. Mit diesen Talenten ausgestattet, werden ihr zeitweise die Türen bei den Medici und auch bei anderen einflussreichen Familien geöffnet. Sie ist gut vernetzt, auch ohne moderne soziale Netzwerke wie z.B. Facebook oder Instagram. Zwar ist sie eine Außenseiterin, weil sie ihr Geld, wie man weiß, als Kurtisane verdient. Das ist damals in Rom legal, wenn auch mit Auflagen verbunden. Sie darf sich unter anderem keinen Mann näheren, der Waffen trägt, doch das kümmert Margherita Costa wenig. Sie verliebt sich in einen kalabresischen Raubmörder, der ein Auftragskiller im Vatikan wird. Mit ihm führt sie ein schillerndes, fast märchenhaftes anmutendes Leben. Sie ist Lebensgefährtin dubioser Männer und auch Mutter von mindestens fünf Töchtern.
Selbst ihr eigens Leben klingt schon wie ein Roman, ohne ein eindeutiges Ende zu haben. Ihre Spur verliert sich um 1750, aber Gerüchte sagen, dass sie 100 Jahre alt geworden sei.
Christine Wunnicke zeichnet ein Porträt einer ungewöhnlichen, für damalige Verhältnisse äußerst selbstbewussten, eigenständigen Frau. Sie trifft eine ausgezeichnete Werkauswahl und schafft mit ihrer eigenen Übersetzung aus dem Italienischen eine hervorragende Studie. Sie schreibt witzig und leicht, grotesk und hintergründig, trotzdem bildet sie meisterhaft eine literarische Wissenschafts- und Entdeckungsstudie über Margherita Costa ab.
Margherita Costa liebt das Skurrile und Groteske, sie überzeichnet und schockiert. Sie scheut nicht vor Zweideutigkeiten zurück, sie parodiert und schreibt komische Stücke, die bisher noch nie von einer Frau verfasst wurde.
Diese barocken Verse überträgt Christine Wunnicke ungeschminkt in ein klar verständliches Deutsch.
Aus „Li buffoni“ („Die Narren“):
"Du nimmersatte Maus, so vollgefressen, / wie eine Schiffslaterne fett und rund, / welch netter Schwanz an dieser Meise hängt, / welch dicken Bauch hat die verfluchte Mieze, / die zu viel Stängel schluckte auf der Wiese, / auch du, du Schnepfe, des Gevögels Köder, / oh, in den Pappardelle endet jeder! / Oh meine Küche! Meine Ofenhitze! / Ich koch euch, brat euch, stopf euch in die Sülze!“
(S. 285)
Die Autorin führt in einem wunderbaren Vorwort in die Lebensgeschichte Margherita Costa ein und der/die Leser:in lernt eine Menge über die zeitgeschichtlichen, sozialen und politischen Hintergründe der damaligen Zeit.
Die ambivalenten Texte der Dichterin Margherita Costa öffnen ein Spektrum eines Lebens in einer Gesellschaft, die Männern vorbehalten war, die abhing von der unmittelbaren Umgebung und von den richtigen Freunden und mächtigen Familien.
Es bereitet einen besonderen Lesegenuss, die Welt dieser einzigartigen und mutigen Barockdichterin zu entdecken. Man staunt, lacht und wundert sich und meint, die Geschichten sind nicht vor 400 Jahren geschrieben, sondern es sind Geschichten, die heute passieren und aktuell sind.
Ausschnitt: "Eine schöne Frau im Scherz an die schönen Frauen"
Die schöne Frau muss klug sein und soll wissen,
dass nur die Liebe nicht verfängt.
Liebst du nur den, wirst du den Frieden missen,
und man hält dich allseits für beschränkt.
Für einen Einzigen nur zu zerfließen,
für ihn nur fackelheiß das Herz versengt –
nein, solche Schande ist nicht zu vergeben,
es sei denn, Wahnwitz ist dein Ziel im Leben. (S. 101)
Margherita Costa: Die schöne Frau bedarf der Zügel nicht
Aus dem Italienischen von Christine Wunnicke; Berenberg Verlag GmbH, Berlin 2023
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