Autor 

Am 14.05.1855 wurde Eduard Heinrich Nikolas Graf von Keyserling auf Tels-Paddern in der russischen Ostseeprovinz Kurland geboren. 

Er war das siebte von zehn Kindern von Eduard Ernst Hermann Graf von Keyserling (1809) und seiner Frau Theophile, geb. v. Rummel (1816).

Nach dem Abitur 1875 begann er das Studium der Rechtswissenschaften. 1878 nahm er in Wien und Graz das Studium der Philosophie und Kunstgeschichte auf. 

Seine ersten Erzählungen Nur zwei Tränen und Mit vierzig Tagen Kündigung erschienen im Jahr 1882.

Besonders bekannt sind seine Schlossgeschichten, Beate und Mareile, erschienen 1903, Fürstinnen erschienen 1917.

Eduard von Keyserling starb am 28.09.1918 in München.

Die letzten Lebensjahre verbrachte Keyserling erblindet und gelähmt in München. Insgesamt ist über Keyserlings Leben wenig bekannt. Nach seinem Tod wurden alle Aufzeichnungen und Dokumente gemäß seinem Testament von seiner Schwester Hedwig vernichtet.

Quelle: vgl. Zeittafel, in Eduard von Keyserling, Landpartie, Gesammelte Erzählungen, Schwabinger Ausgabe, Herausgegeben und kommentiert von Horst Launiger, Manesse Verlag in der Verlagsgruppe Random House GmbH, 2018.

 

Inhalt 

Beate und Mareile sind Freundinnen. Sie kennen sich seit ihrer Kindheit. Ihre Lebenswege sind unterschiedlich. Beate entstammt einer adligen Familie und heiratet den ebenfalls adligen Günther. Mareile hingegen ist die Tochter des Gutsinspektors. Sie geht nach Berlin und wird eine gefeierte Gesangskünstlerin. Jahre später besucht sie ihre Familie und trifft dabei auf Beate und Günther. Zwischen Günther von Tarniff  und Mareile Ziepe entsteht eine heimliche Liebesbeziehung. Der Ehebruch wird von Gattin entdeckt. Mareile und Günther gehen nach Berlin. Nachdem Günther dort bei einem Duell schwer verletzt wird, kehrt  er reumütig zurück ins Schloss zu seiner Familie.  

 

Sprache und Stil

Keyserlings erste Schlossgeschichte Beate und Mareile, erschienen im Mai 1903, erzählt von einem „Einbruch des Lebens und der Leidenschaft“. (Zitat: Thomas Mann zum Tode Eduard Keyserlings)

Günther von Tarniff, ein Ulanenoffizier, genießt ein ausschweifendes Leben, immer auf der Suche nach „Abwechslung, Genüssen und Reizen. Seine Tätigkeit ist der Zeitvertreib“ (S. 206) Günthers Wirkung auf Frauen und seine Beziehung zu ihnen bildet das Zentrum seines Lebens. Doch nun befindet er sich in einer Sinnkrise.

 

„Er war satt. […] Für jede Stimmung das richtige Weib zu finden erschien ihm als die bedeutsame Kunst; und urplötzlich war er der Weiber so müde.“ (S. 16)

 

Er lernt Beate, die einzige Tochter der Baronin von Loswitz, kennen. Beate wächst wie Günther ohne Vater auf Kaltin dem Stammsitz der Losnitz auf. Die Erziehung von Beate liegt in Händen der verwitweten Mutter und ihrer Schwester Seneide. Beide erziehen sie nach dem System der alten aristokratischen Familie, deren primäres Ziel die Heirat bedeutet. 

Günther will durch die Ehe mit Beate einen Abschluss unter sein Junggesellenleben setzen und endlich zur Ruhe kommen. Es wird deutlich, dass sich Günther nach einem Kontrast zu seinem bisherigen Leben sehnt. Dasselbe Kontrasterlebnis, das er bei den „stillen kühlen Marmordamen im Museum“ (S. 16) sucht, vermeint Günther bei Beate, einem „Mädchen mit einer stilvollen Reinheit“ (S. 16 f.) finden zu können. Daher erscheint es Günther, als verspräche Beate ihm ein Glück, „das ihm wirklich bisher unterschlagen worden war.“ (S. 17) Er ist fest entschlossen, „ein glückliches Familienleben nach wohl bewährtem, altadeligem Rezept“ (S. 17) mit ihr zu führen. Beates und Günthers unterschiedliche Vorstellung von einer Ehe lassen in ihrem Verlauf zunehmende Entfremdung entstehen. Beate verkörpert das adlige Leben vollendet mit allen Facetten in Stil, Ästhetik, Kultur und gesellschaftlichen Umgangsformen. Günther bleibt ein nervöser Lebemann, der auf dem kurländischen Anwesen Kaltin ein normales, adliges, feudales und herrschaftliches Leben in aller Abgeschiedenheit versucht zu leben. 

 

Beates strenge moralische Erziehung verhindert ein erfülltes Eheleben mit Günther. Beate kann  ihre Wünsche nicht deutlich machen, ihr versagt die Sprache, als sie über ihre „Sinnlichkeit“ spricht.

 

„»Und wer...wer sagt dir - dass ich nicht auch heißes Blut habe...dass ich nicht auch..., sie kam nicht weiter. Mit beiden Händen bedeckte sie ihr Gesicht. Sie schämte sich. Die arme geknechtete, verleugnete Sinnlichkeit wollte sich wehren, aber sie schämte sich davor, sich selbst zu bekennen.«“ (S. 158)

 

Günthers Lebensplan geht nicht auf. Er sucht seine Erfüllung bei der Wirtstochter Eve Manikow.  

Keyserling stellt Eve Manikow, die „Rote Eva“, als Gegenpol zu Beate dar. Beate ist blass, farblos, still verschlossen und rein. Für ihren Mann bedeutet sie ein „hübscher, glatter, tiefer Hafen, gut ausgebaggert, man sieht bis auf den Grund.“ (S. 10)

 

Eve Manikow äußeres Erscheinungsbild ist geprägt von roten Haaren, rotbraunen Augen und einem roten Mund.

 

„In ihrem kurzen, roten Rock, das rotblonde Haar wirr über dem heißen Gesicht, die nackten Arme, Schultern, Beine vom Ofenlicht beschienen, […]“ (S. 74)

 

Die Farbe Rot symbolisiert Gefühle, Kraft, Feuer und wilde Leidenschaft, was Günter anzieht, um seine unbefriedigte Sexualität auszuleben und auch seine Macht zu demonstrieren.

 

„So war’s jedes Mal. Das Starke in diesem wilden Mädchen zog Günther an, aber kaum fühlte er es in seiner Gewalt, dann trieb es ihn, es zu beugen. Er mußte Eve weinen und gehorchen sehen.“ (S. 80)

 

Sein ambivalentes Verhalten zeigt sich in der Beziehung sowohl bei Beate als auch bei Eve Manikow. Diese Beziehung ist nicht von Dauer. Er sehnt sich zurück nach Beate und der stillen Schlosswelt, wenn er bei Eve sein Verlangen ausgelebt hat. Keyserling nimmt in der Figurenkonstellationen Eve und Günther eine Deutung voraus, die auf die spätere erotische Beziehung zu Mareile hinweist. 

Mareile Ziepe, durch ihre Sangeskünste scheinbar gesellschaftsfähig geworden, zeigt deutlich Attribute einer „Femme fatale“. Keyserlings  Erzählstrategie verstärkt mit dem Gesang Mareiles den Rausch der Liebe durch erotisch geladene Musik wie bei der Oper Tristan und Isolde von Richard Wagner. Mareile zieht mit ihrem Gesang, in Analogie des Musikdramas, der den Beginn ihrer Liebesbeziehung markiert, in ihren Bann.

 

Mareile sang:

„Wie sie schwellen, Mich umrauschen, Soll ich atmen?

Soll ich lauschen?

Soll ich schlürfen,

Süß in Düften

Mich verhauchen?

In des Wonnemeeres Wogenden Schwall?“ (S. 101)

 

Anders als Eve sieht Mareile sich nicht in einer untergeordneten Rolle, sondern versucht Günther ihre Sicht einer Partnerschaft im freien Umgang mit ihrer Sinnlichkeit und Sexualität zu vermitteln. Obwohl Günther von Mareile besessen ist, die alle erotischen und ebenso gesellschaftlichen Anforderungen erfüllt, hindert sein Egoismus ihn, eine beziehungsfähige Partnerschaft einzugehen. 

Mareile ist die Starke in dieser Verbindung und nutzt die Konkurrenz zu Beate aus, als sie das Verhältnis mit Günther beginnt. Günthers Zuneigung sieht sie als Triumph gegenüber Beate an.

 

„Sie fühlte wieder in sich etwas wie den Triumph des kleinen, neidischen Mädchens von früher, das vor Beate auch mal etwas voraus haben wollte.“ (S. 114)

 

Beate entdeckt den Ehebruch und verweist Mareile aus ihrem Schloss. Mareile geht zurück nach Berlin. Günter jedoch glaubt, ohne Mareile nicht auskommen zu können. Er verlässt Beate und folgt Mareile. Bei einem Duell wird er schwer verletzt und kuriert seine Verletzung im Tarniffschen Haus in Berlin aus. Hier erkennt er, dass Mareile ihm keinen Trost spenden kann. Er verlangt nach Beate. Beate folgt seinem Wunsch, erfüllt ihre Pflichten als Ehefrau und holt ihn nach Kaltin zurück. Wie zu Anfang des Romans sucht der schwer verwundete Günther von Tarniff nach seiner Rückkehr aus Berlin wieder die vertraute, wohl geordnete Umgebung im Schloss. 

Mareile versucht ihn wieder für sich zu gewinnen. Doch er entscheidet sich für sein früheres, ruhiges Eheleben. 

 

Sein Verhältnis zu Mareile existiert nur noch in einer  Erinnerung. 

 

„Die Erinnerung an das Glück, welches du mir gegeben, wird mir mein Leben hindurch ein teurer Schatz sein. G.“ (S.186)

 

Keyserlings erste Schlossgeschichte „Beate und Mareile“ prägt ein Reigen aus Ehebruch, Verrat und Rache. Erstaunlich offen zu seiner Zeit nimmt er das Thema Sexualität zwischen leidenschaftlicher Erotik und absoluter Unterwürfigkeit auf.  Seine Figuren bewegen sich zwischen Verlust, Angst und Hoffnung. Dabei bleibt seine Sprache ruhig, feinsinnig und ironisch. Präzise steigert er mit einem subtilen Stil den Spannungsbogen. Begriffe wie „Ehehafen“ mit dem anzüglichen Verb „ausgebaggert“ mit der Günther von Tarniff seine sensible Frau bezeichnet, trifft den psychologischen Charakter der Figur. 

 

Fazit

In dem Roman „Beate und Mareile“ zeigt Eduard von Keyserling die Morbidität der Adelsherrschaft. Seine Gesellschaftskritik umrahmt er in leuchtende Landschaften, wenn er Äcker in „Seidenstreifen“ glänzen lässt und Günther als „gierigen Lebenstrinker“ bezeichnet. In wenigen Worten verwandelt sich Kurland in ein Gemälde aus Sommer- und Herbststimmung wie aus einer versunkenen Zeit. 

Die Welt des baltischen Adels im letzten Jahrhundert seiner Existenz ist die Welt, in der Keyserling selbst gelebt und gelitten hat. 

 

„Aus dem Badezimmer erscholl ein gleichmäßiges Plätschern. Günther von Tarniff saß in seinem rotgelben Badebassin. Er saß da schon geraume Zeit und registrierte die behaglichen Empfindungen, die über seinen Körper hinglitten. Günther pflegte seinen Körper wie ein Brahmane. Er bewunderte ihn und achtete ihn, als die Tafel, auf der das Leben viele, wichtige Genüsse zu verzeichnen hat.“ (S. 5) 

 

 

 

Eduard von Keyserling

Beate und Mareile. Eine Schlossgeschichte

Nachwort von Uwe Timm

Manesse Verlag, München 2013

 

 

 

 

Arbeit zitieren

Autorin Petra Gleibs, September  2022, Buchvorstellung Eduard von Keyserling, Beate und Mareile, https://www.lesenueberall.com/beate-und-mareile/