Autor
„Eduard von Keyserling ist in vielem musterhaft für seine Epoche und doch als Erzähler unverwechselbar. Er gilt als Nostalgiker und décadent, Existenzialist und Erotiker , Seelenforscher und Impressionist mit einer schier unerschöpflichen Farbpalette.“ (S. 627)
Er wurde am 14. Mai 1855 auf dem kurischen Gut Tels-Paddern im heutigen Lettland geboren. Er studierte Jura in Dorpat und Kunstgeschichte Wien und Graz. Später ließ er sich in München nieder, wo er als freier Schriftsteller arbeitete und der Schwabinger Boheme angehörte.
Obwohl er in späten Jahre erblindete, konnte er „sehen“.
„Gewohnt, abseits zu stehen, und auf das Innigste verehrt für «seine vornehme definitive Art zu sehen und zuzusehen» (Rainer Maria Rilke), widmet sich der 1906 erblindete Dichter ganz der Suche nach der verlorenen Zeit.“
Inhalt
Von Eduard von Keyserling sind in „Feiertagskinder“ die vier späten Romane aus den Jahren 1911 bis 1917 erschienen.
„Wellen (1911) und Abendliche Häuser (1914) entstanden in den letzten beiden Friedensjahren, Fürstinnen (1917) und Feiertagskinder (1919) des Großen Krieges, der darin auf auffällige Weise nicht vorkommt.“ (Nachwort, S. 627)
„Wellen“ aus dem Jahr 1911 ist der berühmteste Roman Eduard von Keyserlings. Die Geschichte umfasst eine Zeitspanne von nur wenigen Wochen, in der die Tragödie sich entfaltet.
In „Wellen“ lädt die Generalin von Palikow ihre Familie ans Meer ein. Sie hat den „Bullenkrug“ gemietet, um den Sommer mit ihrer Familie an der See zu verbringen.
Standesgemäßer Adel wie Grafen und Barone, ein Geheimrat und ein Leutnant suchen in dem kleinen Badeort an der Ostsee in unmittelbarer Nähe der bodenständigen Fischer Ruhe und Erholung. In der Fischerhaussiedlung wohnen die Gräfin Doralice Köhne-Jasky und der Maler Hans Grill für den sie ihren Mann verlassen hat. Doralice und der Maler Grill sind Gesprächsstoff.
Sie wohnen dort unstandesgemäß, sehr zum Ärger der feinen Gesellschaft, die einen Affront und Skandal wittert. Die zunächst heiter, hell durchflutete Gesellschaft wird mehr und mehr in den Bann der Dunkelheit gezogen.
„Erschrocken fuhren alle herum. Am Rande der Düne zeichneten sich gegen hellen Himmel deutlich die Figuren eines großen Mannes und einer Frau ganz nahe beieinander ab. «Dort stehen sie jeden Abend«, flüsterte Fräulein Bork geheimnisvoll.“ (S. 11)
Keyserling beschreibt das soziale Miteinander distanziert, ironisch. Er nutzt für Nähe seine Figurenkonstellationen, die wie Lichtreflexe die Abgrenzungen der Gesellschaft spiegeln. Die Sehnsucht, frei zu leben, wird in dem Figurenensemble Generalin von Palikow und Gräfin Doralice geprägt. Insgeheim wünscht Generalin von Palikow die Ketten ihrer Gesellschaftsschicht zu lockern.
Auf abwertende Äußerungen von Frau von Buttlär antwortet die Generalin ärgerlich.
„«Das ist auch gleich. Sie wird das Meer nicht unrein machen, wenn sie darin badet. Es ist kein Grunde, liebe Bella, ein Gesicht zu machen, als seiest du und deine Kinder nun verloren.»“ (S. 10)
Angesichts der Ankunft von Buttlärs äußert Doralice sich gegenüber Hans:
„«Auf Schritt und Tritt das alte Leben. Weißt du, was ich möchte? Dort drüben über dem Meer müsste man eine Hängematte aufhängen können, gerade so hoch, dass die Wellen sie nicht erreichen, aber doch so, dass, wenn ich die Hand herabhängen lasse, ich den Wellen in die weißen Bärte fassen kann, und so, siehst du, könnten, glaube ich, keine Erinnerungen kommen.»“ (S. 16)
Das Meer übernimmt die Hauptrolle in der sich anbahnenden Tragödie. Die immerwährende Bewegung des Wellenspiels wechselt zwischen Höhe und Tiefe wie ein Bühnenbild, das Szene für Szene das Gleichgewicht zwischen Harmonie und drohender Gefahr des Schauspiels ins Schwanken geraten lässt. Das Meer bestimmt, wie das Dramas endet.
Doralice erreicht trotz aller Freiheit nicht ihr Glück. Zu spät erkennt sie ihren Selbstbetrug. Sie kämpft gegen Wellen an, die ihre vermeintliche Unabhängigkeit, eine Liebe nach ihren Vorstellungen gefunden zu haben, nicht nur ihre Beziehung zu Hans, sondern auch dem sozialen Umfeld nicht standhält. Ihre erste Verliebtheit verblasst im Alltag, bis die selbstzerstörerische Bootsfahrt von Hans Grill das Ende ihrer Beziehung markiert. Die adlige Gesellschaft reist ab und Doralice bleibtverlassen zurück.
Einsam schaut sie dem Wellenspiel zu, das ihre Hoffnung nicht zurück spült. Das Meer bestimmt, wie das Dramas endet, der Vorhang schließt sich.
Grandios, wie Keyserling die Geschichte schreibt. Er fängt Atmosphäre, Stimmung und Gefühle in einer sprachlichen Malerei ein, als ob der Leser vor einem Bild steht und sieht.
„Die Nacht war ganz schwarz und schien voll wilden Getümmels, ein Blitz zuckte auf und zeigte für einen Augenblick in einem blauen Lichte das seltsam veränderte Meer. Es erhob sich dort wie große schwarze Mauern, Mauern, die schwankten und stürzten und überall lag es auf ihnen wie bläulicher Schnee.“ (S. 127)
Der Roman „Abendliche Häuser“ führt die Untergangsthematik weiter fort. Im Gegensatz zu „Wellen“ erfolgt ein kollektiver Untergang in einer ungewöhnlichen, ruhigen und auf höchster Ebene unheimlichen Umgebung. Die Natur steht bei Wellen in einer sommerlichen, hellen und freundlichen Atmosphäre dagegen als Kontrast in „Abendliche Häuser“ die kalte winterliche Jahreszeit der Handlung steht.
Bereits zu Beginn beschreibt der Roman eine fast grabesstille Umgebung, die eine schleichende Dekadenz und Tod erahnen lässt.
„Auf Schloß Paduren war es recht still geworden, seit so viel Unglück dort eingekehrt war. Das große braune Haus mit seinem schweren, wunderlich geschweiften Dache stand schweigsam und ein wenig mißmutig zwischen den entlaubten Kastanienbäumen. Wie dicke Falten ein altes Gesicht durchschnitten die großen Halbsäulen die braune Fassade. Auf der Freitreppe lag ein schwarzer Setter, streckte alle vier von sich und versuchte sich in der matten Novembersonne zu wärmen. Zuweilen ging eine Magd oder ein Stallbursche über den Hof langsam und lässig. Hier, schien es, hatte niemand Eile.“ (S. 141)
Der Text konfrontiert den Leser mit den Folgen eines gravierenden Umbruchs.
„Und doch vor wenigen Wochen noch war Paduren die Hochburg des adeligen Lebens in dieser Gegend gewesen.“ (S. 142)
Die ältere Generation bemüht sich um Erhalt der Traditionen, die Nächste lehnt sich dagegen auf und schafft auch keine neuen Perspektiven. Der Niedergang ist unausweichlich.
„Fürstinnen“ aus dem Jahr 1917 ist Keyserlings letztes zu Lebzeiten erschienenes Buch.
„Fürstinnen“ behandelt ein Thema der Abgeschiedenheit von einer Innen- und Außenwelt. Der Begriff „Leben“ wird den Adligen abgesprochen. Die adligen Frauen im Schloss stehen abseits, das Leben findet außerhalb ihrer Reichweite ab.
„Da war Felix, der sechzehnjährige Kadett, hoch aufgeschossen und schmal, Bruno mit dem hübschen Mädchengesicht und Coco, ein ungezogener siebenjähriger Gnom. Die beiden älteren Knaben grüßten zu den Damen hinüber. Coco blieb stehen, drückte sein Gesicht gegen das Gitter und zählte: »Drei Kohlköpfe, drei Salatköpfe, drei Prinzessinnen.« Dann lief er davon. Marie folgte den Knaben aufmerksam mit den Augen, wie sie die Dorfstraße hinaufstiegen, immer kleiner wurden und endlich verschwanden. Und immer empfand sie dann etwas, das ihr das Herz schwer machte, als sei dort das freie, lustige Leben an ihr vorübergegangen.“ (S. 291)
Die Fürstin erkennt ihre abgeschiedene Lebenssituation als Gefangene der gesellschaftlichen Norm. Sie reflektiert:
„Sie war die unnahbare, engelsgute Fürstin. Das Leben ging an ihr vorüber, und ihr blieb nur ihre Würde.“ (S. 412)
Keyserling versteht treffend den Ton zu erzeugen, der zwischen beginnendes Leben, Alter und Tod die Ausweglosigkeit zeigt, in einer festen Form eingeschlossen zu sein.
In seinem posthum veröffentlichten und titelgebenden Roman „Feiertagskinder“ verbindet Keyserling die Eingeschlossenheit und die Ausweglosigkeit in einer spätherbstlichen Tristesse auf einem abgelegenen Landgut.
Für Ulrich von Buchow ein fast bürgerlicher, ernster, bisweilen sehr grau wirkender Adliger, bedeutet die Pflichterfüllung alles. Seine Frau Irma hingegen ist eine bezaubernde Sonntagsnatur. Sie verkörpert die fröhliche und genießende Frau, die von aller Welt verhätschelt. Sein Bruder Achat von Buchow steht genau wie seine Frau Irma auf der Sonnenseite. Lebenslustig und farbenfroh durchbricht er bei seinen Besuchen den grauen Alltag auf dem Gut. Achat ist genau das Gegenteil seines Bruders, ein Diplomat und Spieler, der von den finanziellen Unterstützungen Ulrichs abhängig ist.
Nachdem Irmas und Ulrichs Sohn an einer Lungenkrankheit verstirbt, kommen Achat und Irma sich näher.
„«Still, hörst du, jetzt kommt der Wind, wir wollen uns biegen lassen, wie die Birken». Sie saßen still da, und als der Wind in die Tannen fuhr und die Föhren metallisch zu rauschen begannen, da fingen auch Achaz und Irma an sich zu wiegen, sich zueinander zu neigen und sich voneinander fortzubiegen. «So ist es gut, so ist es gut», rief Achaz, «ich fühle die ganze Baumwonne!»“ (S. 492)
Keyserling stellt in seinem Roman zwei Gruppen gegenüber, die zwar beide dem Adel angehören, aber trotzdem eine Kluft aufweisen. Er zeichnet die Unterschiede der beiden Brüder. Ulrich ein pflichtergebener Gutsherr, im Gegensatz dazu steht sein Bruder Achat ein Diplomat mit sonnigem Gemüt und Spieler.
In „Wellen“ verliert Doralice ihren Geliebten Hans, in „Abendliche Häuser“ kehrt Fastrade mit dem Toten auf das Schloss zurück und in „Fürstinnen“ verliert die Fürstin ihre Hoffnung auf das späte Glück. Sie muss ihn gehen lassen, für ihre Tochter. Am Ende bleibt sie allein und auch ihre Tochter verliert ihn für immer. In „Feiertagskinder“ bleibt Ulrich weinend zurück. Seine Frau hat ihn verlassen, um mit Achat ein neues Leben zu beginnen.
Ulrich kann aus seiner Welt nicht heraus. Er ist einsam und gefangen, mit ihm seine Tochter Isa.
Der Band enthält zusätzliche Information wie Kommentar, Nachwort Keyserling-Porträts in Bild und Wort, eine Zeittafel, editorische Notiz und Zitierte & konsultierte Literatur.
Fazit
Keyserling ist nicht nur ein Impressionist der Worte, sondern auch Dirigent der Worte, der immer wieder neu Atmosphäre, Stimmung und Gefühle schafft.
Er dirigiert sein Wortorchester gefühlvoll in Sätzen, entwickelt daraus eine Sinfonie. In seinem Orchester überwiegen die Tasteninstrumente und Streichinstrumente wie Harfe und Klavier oder Flügel und Violine. Mit wenigen Anschlägen auf dem Klavier verzaubert er den Leser in eine andere Welt. Durchaus lässt er einen Paukenschlag oder den Kontrabass einfließen, die am Ende wieder abebben und in leise, aber oftmals unversöhnliche Töne übergehen.
Seine Figuren folgen ihm auf der Bühne, es entstehen mit wenigen Sätzen Reflexe der Natur und des Lebens. Der Leser wird in eine Gefühlswelt der dargestellten Szene hineinversetzt.
Keyserling erblindet 1906 infolge einer Syphilis-Infektion. Seine Spätwerke sind daher nicht mehr von ihm geschrieben worden, sondern er hat sie diktiert. Keyserling bleibt ein Chronist einer untergehenden Zeit bis zu seinem Tod.
Eduard von Keyserling starb am 28. September 1918 in München.
Feiertaggskinder
Späte Romane
Eduard von Keyserling
Schwabinger Ausgabe
Herausgegeben und kommentiert von Horst Lauinger.
Nachwort von Daniela Strigl
Manesse Verlag, München 2019
Arbeit zitieren
Autorin Petra Gleibs, Juli 2022, Buchvorstellung Eduard von Keyserling, Feiertagskinder - Späte Romane, https://www.lesenueberall.com/feiertagskinder-späte-romane/
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