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Kosakenberg

Was ist Heimat und wie lässt man die Provinz hinter sich? 

 

„Der russisch-französische Schriftsteller Vladimir Nabokov hat einmal gesagt, dass jeder, der seine Heimat verlassen hat, zwei Leben besitzt. Das eine, das man lebt, und das andere, das an dem Ort weitergeht, von dem man weggegangen ist.“ (S 11) 

 

1997 verlässt Kathleen nach dem Abitur Kosakenberg. Nicht nur Kathleen, „fast alle aus ihrer Klasse sind weggegangen.“ (vgl. S. 9) 

 

In London findet sie eine Stelle als Grafikerin und baut sich dort ein neues Leben auf. 

 

„Wir verließen nicht nur unsere Familien, unsere Häuser, unsere Dörfer, sondern auch unsere Vergangenheit. Wir wollten andere werden und in dem Wollen steckte schon die Trauer um den Verlust. Wir gingen weg, um zu suchen, was wir gleichzeitig verloren. Eine Heimat. Wir gingen weg, um zu suchen, was wir gleichzeitig verloren. (S. 9) 

 

Die Autorin hat die Kapitel am Anfang in „Weggehen“ und am Ende in „Wiederkommen“ geteilt. Zwischen diesen beiden Kapiteln sind zehn Kapitel numerisch in „Heimfahrt“ eingebettet, die als Brücke zwischen den beiden Phasen fungieren und dem Leser einen tieferen Einblick in Kathleens Gedankenwelt geben. Während dieser Fahrten hat Kathleen Zeit, über ihre Vergangenheit, ihre Entscheidungen und ihre Beziehung zur Heimat nachzudenken und ihre Gefühle zu sortieren.

 

Die Autorin illustriert eindrucksvoll die emotionale Komplexität, die Kathleen bei ihren Besuchen in der Heimat erlebt. Die zunehmende Distanz und Kluft zwischen ihr und den Menschen, die in ihrer Heimat geblieben sind, zeigen eine Veränderung der Beziehung, die durch verschiedene Lebensentscheidungen entstanden ist. Während Kathleen ihren Weg geht und sich persönlich sowie beruflich weiterentwickelt, scheinen die Zurückgebliebenen auf ihrem eigenen Weg verharrt zu sein. Es entsteht eine Mischung aus Wehmut, Entfremdung, aber auch einem Hauch von Stolz. Sie erkennt die Kluft und spürt, wie sie sich zwischen den Welten bewegt - einerseits die Welt ihrer Vergangenheit, ihrer Wurzeln und andererseits die Welt, in der sie sich weiterentwickelt hat. Diese Erfahrung offenbart ihr eine schmerzhafte Realität.

 

„ Heimreisen,[…], waren Manöver durch energetische Felder. Es war, als kreiste man um einen Magneten, der entweder anzog oder abstieß.“ (S. 107)

 

Eine besondere Verbindung zu Kosakenberg besteht aus Eiern. Kathleen bekommt von ihrer Mutter einen Karton Eier nach London geschickt. Die Eier haben tausend Kilometer überstanden. 

 

„Eier waren Zahlungsmittel und Liebesbeweis. Eier gibt es immer, hatte meine Großmutter gesagt." (S. 69)

 

Ein Ei war an der Schale eingebrochen und hinterließ einen Fleck auf Kathleens Wohnzimmerteppich. Sie will ihn entfernen, doch der Fleck wird immer größer. 

Der Eierfleck steht für Herkunft. Sie versucht, den Fleck zu beseitigen, doch es gelingt ihr nicht. Der Fleck wird größer. 

Der Fleck bleibt. Kathleen kann ihre Heimat verlassen, aber die Herkunft bleibt bestehen.

Das Motiv des Flecks wird symbolisch noch einmal aufgegriffen, als Nadine Kathleens ehemaliges Elternhaus kauft und ihr Haus umwandelt. Es erscheint ein nasser Fleck an der Hauswand, der von einem undichten Wasserrohr herrührt, das zu weinen scheint.

Ausgerechnet die Antagonistin Nadine ist geblieben. Ihr gehört nun das Haus, was Kathleens Zuhause war. Sie ist geschäftstüchtig mit Eiern. Wer zahlt schon 10 Euro für sechs Eier?

 

„Wie gut Nadine den Kapitalismus verinnerlicht hatte.“ (S. 153)

 

Jetzt ist Kathleen "Zaungast im Eier-Valley". 

 

„Nadine, drei Jahre jünger als ich, war schon damals die Mutigere gewesen.“ (S. 73)

 

Sabine Rennefanz erzählt mit Ironie und Melancholie, gepaart mit bildhaften und symbolischen Elementen. „Warum hieß es Vaterland, aber Mutterboden?“ (S. 209)

 

Sie verwendet interessante sprachliche Konzepte, die verschiedene Aspekte von Zugehörigkeit, Identität und Verbundenheit reflektieren. Sie schafft eine vielschichtige Darstellung von Themen wie Gehen und Wiederkommen, Heimat und Herkunft und lässt den Leser in die Welt der Protagonisten tief eindringen. 

 

Das letzte Kapitel des Romans „Wiederkommen“ deutet eine Versöhnung an, die nicht nur die Vergangenheit betrifft, sondern auch die Zukunft mit Hoffnung erfüllt.

 

Fazit

Was ist Heimat, was bedeutet Herkunft und wie lässt man die Provinz hinter sich? 

Der Roman „Kosakenberg“ beschreibt die Zeit nach der Wende und reflektiert, wie sich die politischen und gesellschaftlichen Umbrüche auf das Leben der Menschen ausgewirkt haben. 

Die Darstellung des Wandels in Ostdeutschland nach der Wende, die durch zahlreiche Beispiele im Buch veranschaulicht wird, bietet einen interessanten Kontext für Kathleens persönliche Reise. Die Feststellung, dass nicht nur Kathleen der Heimat untreu geworden ist, sondern auch die Heimat selbst sich verändert hat, verdeutlicht die Komplexität der Veränderungen, die in der Gesellschaft und in den Lebensumständen vieler Menschen in Ostdeutschland seit der Wende stattgefunden haben.

 

 

 

 

 

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