Rolf Dieter Brinkmann

Immer mehr Worte

 

Immer mehr

Worte wachsen über

Nacht der schwarzen Farbe zu, die ihr Meer

zwischen uns treibt, darin wir nicht

ablassen

von der entsetzlichen Mühsal zu lieben

wenn ich

Matrose wär

oder ein Hund mit

einem Anker tätowiert auf der Stirn, ich

würd hoch auf

dem Meer nach

deinem Mund suchen

dann

müsste die Sprache leicht sein wie der Tod

und so schnell: es

gibt zuvieles was ich nicht sagen kann.

 

aus dem Gedichtband: Standfotos. Gedichte 1962–1970

 

Sarah Kirsch

Bei den weißen Stiefmütterchen

 

Bei den weißen Stiefmütterchen

Im Park wie ers mir auftrug Stehe ich unter der Weide Ungekämmte Alte blattlos

Siehst du sagt sie er kommt nicht

Ach sage ich er hat sich den Fuß gebrochen

Eine Gräte verschluckt, eine Straße Wurde plötzlich verlegt oder

Er kann seiner Frau nicht entkommen Viele Dinge hindern uns Menschen

Die Weide wiegt sich und knarrt Kann auch sein er ist schon tot

Sah blaß aus als er dich untern Mantel küßte Kann sein Weide kann sein

So wollen wir hoffen er liebt mich nicht mehr

 

aus dem Gedichtband: Landaufenthalt (1967)

 

Heinz Czechowski

So kam dieser Winter, der Frost

 

So kam dieser Winter, der Frost

Saß in den Scheiben, der Schnee Deckte die Narben der Erde. Wir rauchten und tranken,

Sprachen die Sprachen der Liebe, Hatten uns schließlich und endlich Nichts mehr zu sagen.

Die Stille

Setzte sich fest und wir hatten

Zeit, nacheinander Sehnsucht zu haben:

Sentimentalisch

Klangs aus dem Radio: die Platten

Kreisten schon lange im Leeren bis wir bemerkten

Dass das Spiel aus war.

So kam dieser Winter. Er ging.

Nicht einmal Zeit ließ er uns, zu bereuen.

Was wir vertaten, verziehen wir uns.

 

aus dem Gedichtband: Schafe und Sterne (1974)