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Italia und Germania

Friedrich Overbeck, 1811–28

 

 

 

Epoche

Romantik (1798-1835)

 

Heinrich Heine

 

Die Loreley

 

Ich weiß nicht was soll es bedeuten, Daß ich so traurig bin;

Ein Märchen aus alten Zeiten,

Das kommt mir nicht aus dem Sinn. Die Luft ist kühl und es dunkelt,

Und ruhig fließt der Rhein; Der Gipfel des Berges funkelt Im Abendsonnenschein.

Die schönste Jungfrau sitzet Dort oben wunderbar;

Ihr goldnes Geschmeide blitzet,

Sie kämmt ihr goldenes Haar.

Sie kämmt es mit goldenem Kamme, Und singt ein Lied dabei;

Das hat eine wundersame, Gewaltige Melodei.

Den Schiffer im kleinen Schiffe,

Ergreift es mit wildem Weh;

Er schaut nicht die Felsenriffe, Er schaut nur hinauf in die Höh.

Ich glaube, die Wellen verschlingen Am Ende Schiffer und Kahn;

Und das hat mit ihrem Singen,

Die Lore-Ley getan.

 (1823)

 

Auf Flügeln des Gesanges

 

Auf Flügeln des Gesanges, Herzliebchen, trag ich dich fort, Fort nach den Fluren des Ganges, Dort weiß ich den schönsten Ort.

Dort liegt ein rotblühender Garten Im stillen Mondenschein;

Die Lotosbumen erwarten

Ihr trautes Schwesterlein.

Die Veilchen kichern und kosen, Und schaun nach den Sternen empor; Heimlich erzählen die Rosen

Sich duftende Märchen ins Ohr.

Es hüpfen herbei und lauschen Die frommen, klugen Gazelln; Und in der Ferne rauschen Des heiligen Stromes Welln.

Dort wollen wir niedersinken Unter dem Palmenbaum, Und Liebe und Ruhe trinken, Und träumen seligen Traum.

 

 aus: Buch der Lieder (1827)

 

 

Nachtgedanken

 

Seit ich die Mutter nicht gesehn,

Zwölf Jahre sind schon hingegangen; Es wächst mein Sehnen und Verlangen.

Denk ich an Deutschland in der Nacht, Dann bin ich um den Schlaf gebracht,

Ich kann nicht mehr die Augen schließen, Und meine heißen Tränen fließen.

Die Jahre kommen und vergehn!

Mein Sehnen und Verlangen wächst.

Die alte Frau hat mich behext,

Ich denke immer an die alte, Die alte Frau, die Gott erhalte!

Die alte Frau hat mich so lieb,

Und in den Briefen, die sie schrieb,

Seh’ ich wie ihre Hand gezittert,

Wie tiefdas Mutterherz erschüttert.

Die Mutter liegt mir stets im Sinn. Zwölf lange Jahre flossen hin,

Zwölf lange Jahre sind verflossen,

Seit ich sie nicht ans Herz geschlossen.

Wenn nicht die Mutter dorten wär; Das Vaterland wird nie verderben, Jedoch die alte Frau kann sterben.

Die ich geliebt – wenn ich sie zähle, So will verbluten meine Seele.

Und zählen muß ich – Mit der Zahl Schwillt immer höher meine Qual, Mir ist, als wälzten sich die Leichen,

Deutschland hat ewigen Bestand,

Es ist ein kerngesundes Land,

Mit seinen Eichen, seinen Linden, Werd ich es immer wiederfinden.

Nach Deutschland lechzt’ ich nicht so sehr,

Seit ich das Land verlassen hab,

So viele sanken dort ins Grab,

Auf meine Brust – Gottlob! sie weichen!

Gottlob! durch meine Fenster bricht Französisch heitres Tageslicht;

Es kommt mein Weib, schön wie der Morgen,

Und lächelt fort die deutschen Sorgen. 

 

aus: Zeitgedichte (1844)

 

 

 

 

Eckpunkte

* 13.12.1797 in Düsseldorf

† 17.02.1856 in Paris

 

Seine vorgenannten Gedicht gehören zur Epoche der Romantik.  

Seine Werke lassen sich mehreren Epochen zuordnen: der Romantik, dem Realismus, der Aufklärung und dem Vormärz.