Alice Brauner und Heike Gronemeier haben mit großer Sorgfalt und Präzision ein Buchprojekt über die beiden Künstler Gabriele Münter und Wassily Kandinsky realisiert. Mit akribischem Blick für Details und einem tiefen Verständnis für ihre Themen schufen sie ein Werk, das die künstlerische und persönliche Beziehung dieses außergewöhnlichen Paares eindrucksvoll beleuchtet.
Im Mittelpunkt stehen dabei ausgewählte Briefe zwischen Gabriele Münter und Wassily Kandinsky, die einen authentischen und lebendigen Einblick in ihre Beziehung gewähren. Diese Korrespondenz ermöglicht es, den historischen Verlauf ihrer gemeinsamen Geschichte präzise nachzuvollziehen und die persönliche sowie künstlerische Dynamik ihrer Partnerschaft eindrucksvoll zu dokumentieren.
Die Beziehung zwischen Gabriele Münter und Wassily Kandinsky ist keine neue Geschichte. Ihre Liebesgeschichte, geprägt von Leidenschaft, künstlerischem Austausch, aber auch Konflikten und einem schmerzhaften Bruch, ist vielfach dokumentiert und analysiert worden. Sie bietet Einblicke in die Dynamik einer Beziehung, die sich im Spannungsfeld zwischen persönlicher Intimität und öffentlicher Kreativität bewegt.
Sie ist nicht nur Teil ihrer privaten Biografien, sondern auch eng mit der Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts verbunden ist. Ihre Partnerschaft, die von 1902 bis 1914 dauert, steht im Zentrum der Entstehung der expressionistischen Bewegung und der Blauen Reiter-Gruppe, die Kunst und Kultur nachhaltig prägen.
„Dass er damals Ellas Versuche, Ordnung in ihr aus den Fugen geratenes Gefühlsleben zu bringen und wieder zurückzukehren zum Lehrer-Schüler-Verhältnis, so hartnäckig torpedierte, sollte einen der vielen giftigen Keime in dieser Beziehung legen.“ (S. 85)
Besonders Münters Perspektive wird in diesem Roman betont, indem sie nicht nur als Künstlerin, sondern auch als eigenständige Persönlichkeit jenseits ihrer Beziehung zu Kandinsky porträtiert wird. Ihre künstlerische Entwicklung, inneren Konflikte und ihr Einfluss auf die moderne Kunst stellen sie als starke, selbstbestimmte Frau dar. Der Roman beleuchtet ihren Weg in der von Männern dominierten Kunstwelt sowie ihre Zerrissenheit in Bezug auf Kandinsky.
Kandinsky wird oft von inneren Konflikten überwältigt, von Zweifeln und Selbstanklagen geplagt. Seine Unsicherheit bezüglich seiner künstlerischen Entwicklung und das ständige Hinterfragen seiner eigenen Leistung zeigen eine tiefe Unzufriedenheit und Unruhe. Seine persönliche, Beziehung zu Ella zeigt den innerlichen Konflikt, der ihn in seiner künstlerischen als auch in seiner persönlichen Welt belastet.
„Seine Stimmungslage war seit Monaten düster gewesen. Zu den peinigenden Zweifeln wegen seiner künstlerischen Entwicklung waren einmal mehr Selbstanklagen gekommen. Wegen Anja, wegen Ella, wegen seinen Ängsten, die immer wieder hervorbrachen, deren Ursachen auf den Grund zu gehen er aber scheute oder es nicht vermochte.“ (S. 118)
Gabriele Münter und Wassily Kandinsky verbindet nicht nur eine intensive Liebesgeschichte, sondern auch eine außergewöhnliche und gegenseitige inspirierende Partnerschaft, die weit über die reine Romantik hinausgeht.
Diese Partnerschaft spiegelte nicht nur den Austausch von Ideen, sondern auch die Herausforderungen und Spannungen einer künstlerischen und emotionalen Verbindung wider.
Beide Autorinnen setzen sich intensiv mit der Entstehung einzelner Werke sowie den unterschiedlichen Phasen ihres kreativen Schaffens auseinander.. Kandinsky inspiriert Münter dazu, ihre eigene Bildsprache zu vertiefen und zu erweitern. Gleichzeitig findet er in ihrer intuitiven Herangehensweise und ihrem sensiblen Gespür für Farbe und Form eine künstlerische Resonanz, die seine eigenen Arbeiten bereichert. Ihre Reisen, ihre gemeinsamen Studien der Volkskunst und ihre Experimente in unterschiedlichen Medien schaffen eine Basis, auf der sich ihre künstlerischen Ideen gegenseitig durchdringen und verstärken können.
Das Buch wird durch zahlreiche Fotos und farbige Abbildungen der Künstler bereichert. Ein Epilog sowie ein Dank der Autorinnen an alle Unterstützer:innen runden das Werk ab. Ergänzt wird es durch Anmerkungen, die nach den Kapiteln strukturiert sind, ein Personenregister und einen Bildnachweis, die das Sachbuch perfektionieren.
Fazit
Für Kunstinteressierte, insbesondere für jene, die sich mit der Zeit des Blauen Reiters befassen, wird dieser Roman eine wahre Bereicherung sein. Er bietet tiefgehende Einblicke in das Leben und Wirken der beiden herausragenden Persönlichkeiten Gabriele Münter und Wassily Kandinsky und vermittelt reichhaltiges Wissen über ihre künstlerische Vision und ihre bedeutende Rolle in der Kunstgeschichte.
Eine empfehlenswerte Ergänzung dazu ist der Film Münter Kandinsky aus dem Jahr 2024, unter der Regie von Marcus O. Rosenmüller.
Alice Bauer, Heike Gronmeier
Münter & Kandinsky, Von der Macht der Farben und einer Fatalen Liebe
Penguin Verlag
erschienen 2024
Arbeit zitieren
Autorin Petra Gleibs, Januar 2025, Buchvorstellung Münter & Kandinsky, Von der Macht der Farben und einer Fatalen Liebe, Alice Bauer, Heike Gronmeier https://www.lesenueberall.com/2025/01/03/m%C3%BCnter-kandinsky-von-der-macht-der-farben-und-einer-fatalen-liebe/
Kommentar schreiben