ELKE HEIDENREICH & MARC-AUREL FLOROS

 

Auftaktveranstaltung 

Neuss liest 

 

Konzertlesung in der Stadtbibliothek Neuss

26.10.2023

 

Der Büchersaal der Stadtbibliothek Neuss ist ausverkauft. Kein Platz mehr frei. Es ist kein Rockstar, der hier sein Debüt gibt, nein. Es ist die Granddame der Literatur oder doch ein Rockstar? Elke Heidenreich, 80 Jahre alt, lässt bescheiden und geduldig das Einstellen des Mikrofons und die Fotosession über sich ergehen. Meine Frage, ob ich ein Foto machen dürfe, registriert sie mit einem freundlichen Lächeln. Ich darf. Und dann ist es so weit: Elke Heidenreich betritt die Bühne, begleitet von einem tosenden Applaus, was jedem gestandenen Rockstar neidisch erblassen lässt. Sie ist nicht allein, der Pianist und Lebensgefährte Marc-Aurel Floros ist bei ihr und begleitet sie am Klavier. Nach einer Einführungsrede der Ersten Stellvertreterin, des amtierenden Bürgermeisters Reiner Breuer, Susanne Benary und einer Rede der Bibliotheksleiterin Claudia Büchel, kann Elke Heidenreich beginnen. 

 

Elke Heidenreich braucht keinen Moderator oder Moderatorin, die ihr Leben und ihre Werke hinterfragen. Elke Heidereich nimmt das selbst in die Hand. Sie erzählt ihren Zuschauerinnen und Zuschauern mit liebenswürdiger, humorvoller Direktheit von ihrer langen Karriere und von bedeutenden Stationen ihres Lebens.

Unterbrochen wird sie immer wieder von anhaltendem Beifall, den sie gerne weniger hätte, um mehr erzählen zu können. Sie hat viel zu erzählen. 

 

Die ZDF-Literatursendung „Lesen!“ (2003-2008) liegt der 80-Jährigen besonders am Herzen: „Leute, lest!!“ ist noch heute ihre dringliche Aufforderung. Sie hat schon früh angefangen mit Lesen, weil Lesen ihr Halt und Trost gab, Probleme und Unstimmigkeiten in ihrer Familie zu überwinden. Sie erinnert sich, viel Zeit in einer Bibliothek verbracht zu haben. Sie durfte zunächst nur drei Bücher ausleihen.Als man bemerkte, dass sie die Bücher innerhalb kurzer Zeit las, erhöhte die Bibliothek auf zehn Bücher. 

 

Zwischendurch greift Marc-Aurel Floros in die Tasten. Er spielt bekannte Melodien, die manchmal mit stilistischen und abenteuerlichen Eigenheiten verändert sind, doch immer zum Thema passend. Elke Heidenreich nimmt sie humorvoll auf. Man merkt eine Verbundenheit der beiden, die durch den gesamten Saal schwingt. 

 

Im Mittelpunkt stehen ihre unterschiedlichen Bücher, ihre Kurzgeschichten. Sie ist Meisterin der kurzen Form. Ihren einzigen Roman „Alte Liebe“ hat sie  mit ihrem ehemaligen Mann Bernd Schroeder geschrieben. „Männer in Kamelhaarmäntel“,(2020) „Hier gehts lang“ (2021) „Frau Dr. Moormann und ich“ (2023) oder auch ein außergewöhnliches Reisebuch (2022).In „Hier geht’s lang“ erzählt die Autorin, welche Bücher ihrer Zeit Frauenbilder geprägt haben. Da ging es los mit „Trotzkopf“ und es folgten weitere nach ihrer Aussage „grauenhafte“ Bücher. Erst die Karl-May-Romane haben sie „gerettet“.

 

Nun ist sie in Neuss mit ihren Kurzgeschichten, die sie alphabetisch beginnt. B wie Briefträger und V wie Vogel. Der Vogel, der der draussen in der Natur sitzt und singt. Nur er singt falsch, das meint ein Musiker. Das F des Vogels sei verstimmt. Heidenreichs Erkenntnis „Hände weg von Musikern.“ Marc-Aurel Floros wird sie wohl nicht gemeint haben. 

In „Männer in Kamelhaarmäntel“ nimmt sie das Thema Kleidung auf und wir erfahren, dass die Autorin sich nie angepasst hat. Sie hat Kleidung extra für Sendungen gekauft, fühlte sich verkleidet und nicht sich selbst. Ihre Lösung ist einfach: „Ich trage, was ich mag und was mir steht!“ Sie trägt bei ihrer Lesung einen weinroten Blazer, gestreiftes T-Shirt, schwarze Hose und rotbraune Schuhe. Das ist Elke Heidenreich. Der Applaus gibt ihr Recht. 

 

Bei ihren Reiseimpressionen erfährt das Publikum, dass sie bei einem Rombesuch vom Papst gesegnet wurde, was sie sehr beeindruckte. Seitdem die Sternsinger nicht mehr Halt vor ihrem Haus machen, segnet sie nun selbst mit der Inschrift CBM. Die Nachbarn staunten und ihre drei ersten Segnungen bei Nachbarn folgten. 

 

Ein Blick in die Zuschauerrunde zeigt mir ein lachendes, konzentriert zuhörendes Publikum, das nicht genug bekommen kann von ihrem Erzählen. 90 Minuten lang führt sie durch eine Welt der Literatur, humorvoll, mit Tiefgang und auch mit nachdenklichen Momenten. Das Publikum applaudiert immer wieder. Sie erzählt von Augenblicken mit Menschen, von Lust am normalen Leben, von einem Abend mit Roberto Blanco in einem Kursaal. Marc Aurel Floros soll nur die ersten Takte von „Ein bisschen Spaß muss sein“ spielen, doch er spielt mehr und sie lacht. 

 

Elke Heidenreich beendet ihren Auftritt und eilt zum Büchertisch. Wieder eine Schlange.

 

Elke der Rockstar!

 

 

 

 

 

Autorin: Petra Gleibs 

27.10.2023

Neuss liest

2021

Auftakt 14.Oktober 2021

mit der Autorin

Judith Hermann

 


Am 14.10.2021 war es wieder so weit. Die Eröffnungsveranstaltung „Neuss liest“ fand vor zahlreichen Literaturbegeisterten in der Neusser Stadtbibliothek statt. 

Claudia Büchel, seit 2018 Leiterin der Stadtbibliothek Neuss, und Helga Schwarze, für Öffentlichkeitsarbeit und Erwachsenenliteratur zuständig, koordinieren das Festival. In diesem Jahr konnten sie die Berliner Schriftstellerin Judith Hermann einladen. 

Nicht allen war bisher die Autorin bekannt. Bürgermeister Reinhard Breuer, der auch die Schirmherrschaft übernommen hat, hielt die Eröffnungsrede. Er gestand den Namen bisher nicht gekannt zu haben und musste erst einmal googeln. Aber nun weiß er, wer sie ist und wird noch mehr von Judith Hermann lesen.

Frau Büchel berichtete, dass „Neuss liest“ eine der längsten Geschichte in Deutschland hat und nun in Folge zum zwölften Mal stattfindet. Das ist rekordverdächtig. Dank zahlreicher Sponsoren ist es gelungen, diese Veranstaltung aufrecht erhalten. 


Judith Hermann stellte ihren neuen Roman „Daheim“ vor. Die Moderation hat Christoph Schröder, freier Autor und Kritiker sowie Dozent für Literaturkritik an den Universitäten Frankfurt am Main und Köln übernommen. 

Begleitet wurde die Podiumsdiskussion von Toma Neill mit ihrem Bandoneon mit argentinischen Musikstücken.


Judith Hermann ist eine der berühmtesten deutschsprachigen Gegenwartsautorinnen, die ihr sechstes Buch vorgelegt hat. 

Nach Kurzgeschichten wie „Sommerhaus, später“ oder „Gespenster“ ist „Daheim“ ihr zweiter Roman.

Der Roman „Daheim“ beginnt mit einer Erinnerung an eine Begebenheit vor fast 30 Jahren. Der Protagonistin, die ein tristes Leben führt und in einer Zigarettenfabrik arbeitet, wird eines Tages ein Job als Assistentin eines Zauberers angeboten, der auf Tournee mit einem Kreuzfahrtschiff Richtung Singapur gehen will. Sie lehnt ab. Es ist eine skurrile Episode, die in ihrer Art an „Sommerhaus, später“ erinnert. Sie schreibt das Leben der „Sommerhaus, später“ Figuren konsequent fort. Hermann selbst sagt dazu, dass sie wissen wollte, wie es weitergeht und nicht wie bei ihren Kurzgeschichten die Frage offenlässt. 

Es geht weiter in die Gegenwart mit einem Zeitsprung von etwa zwanzig Jahren. Die Protagonistin ist von ihrem Mann Otis getrennt und ihre Tochter aus dem Haus. Sie zieht ans Meer, arbeitet bei ihrem Bruder in der Kneipe. 

Sie freundet sich mit der Nachbarin Mimi an, einer Künstlerin, deren Familie einen großen Schweinehof in der Nähe besitzt, um den sich ihr Bruder Arild allein kümmert. 

Judith Hermann möchte keine fertigen Figuren schaffen. Sie lässt bewusst Fragen offen. Trotzdem schafft sie mit ihrer lakonischen Sprache und auch den knappen Sätzen eine Dichte zu verschaffen. Sie sagt, das ist so gewollt. Sie möchte Raum zur Entwicklung lassen. Spätestens hier wird klar, dass sie sich auch mit ihrem Roman von der Kurzgeschichte nicht lösen kann. Auf 192 Seiten werden Fragen behandelt, die das Leben stellt: Wohin wollen wir gehen? Wann kommen wir an? Wem können wir vertrauen? Und wie zuverlässig sind unsere Erinnerungen?

Die Passagen, aus denen sie vorgelesen hat, strahlen Ruhe aus. Sie nehmen den Zuhörer in ihren Bann und lassen der Fantasie ihren Lauf. Sie setzt wirkungsvoll Bilder und Metaphern ein und lassen die Geschichte realistisch als auch allegorisch lesen. Unterschiedliche Tonfälle, dunkle Passagen wechseln mit heiteren und sogar lustigen Szenen ab, die wie eine große Zauberkiste immer wieder Neues zum Vorschein bringen lassen. 

Die Ich-Erzählerin trifft einen „Zauberer“ oder ist es ein Psychopath?

Sie ist gerade mal zwanzig, arbeitet in einer Zigarettenfabrik. Die freie Zeit verbringt sie rauchend auf ihrem Balkon.

Eines Abends trifft sie an der Kasse der gegenüberliegenden Tankstelle einen seltsamen Mann im Anzug und schlohweißen Haaren. Er stellt sich als Zauberer vor und fragt sie ohne Umschweife, ob sie ihm nicht beim alten Trick mit der zersägten Frau assistieren wolle. Sie dürfe gerne mal bei ihm zur Probe vorbeikommen. 

Da ist Mimi, die nach drei gescheiterten Ehen wieder leben möchte, „wo sie herkam“ und es liebt, nackt im brackigen Hafenwasser zu schwimmen.

Ein gelungener Auftakt „Neuss liest“ mit Judith Hermann.

Weiterer Lesungen folgen, wobei im Focus der Kaffeepausenlesungen „Aller Liebe Anfang“ steht, die alle bis auf eine im Rheinischen Landestheater in der Stadtbibliothek Neuss stattfinden. Unterschiedliche Lesungen werden in Neuss verteilt durchgeführt. Ihre Debüterzählungen „Sommerhaus, später“ aus dem Jahr 2014 wird am 20.10. 21 im „Kulturkeller Neuss“ gelesen. 

 


Die letzte Lesung findet am 28.10.2021 in der Katholischen Öffentlichen Bücherei St. Andreas in Norf statt mit „Lettipark“. 

 

Autorin: Petra Gleibs