Es gibt immer wieder neue Aspekte von Thomas Manns Leben, Werk und Einfluss zu entdecken und zu erforschen. Die Dynamik seiner Zeit und die Art und Weise, wie er politische und gesellschaftliche Ereignisse in seine Werke integrierte, bieten einen reichen Boden für wissenschaftliche Untersuchungen und Interpretationen. Insbesondere seine Auseinandersetzung mit Themen wie Identität, Moral, Macht und Kultur macht sein Werk auch heute noch relevant und faszinierend für zeitgenössische Leser und Forscher.
Der Roman „Solange es eine Heimat gibt Erika Mann“ von Unda Hörner zeigt keine neuen Erkenntnisse auf, aber eine andere Sichtweise über das Leben von Thomas Mann und seiner Familie.
Aus Sicht von Erika Mann entsteht ein facettenreiches Bild einer Familie im Zentrum des weltanschaulichen, politischen und künstlerischen Meinungskampfes. Dabei werden durchaus unterschiedliche Positionen innerhalb der Familie erkennbar.
Im Mittelpunkt des Romans stehen die „Mann-Sisters“, Erika und Klaus Mann, das damals wohl coolste Geschwisterpaar im europäischen Kulturbetrieb.
Sie waren jung, verwöhnt und berühmt, privilegiert, intellektuell und komödiantisch, bisexuell oder homosexuell. Erika immer lebenslustig und Klaus verletzlich und lebensmüde.
„Im Hause Mann herrschte Toleranz bis hin zur Prinzipienlosigkeit, die armen Nachbarn ließen ihre Hoffnung bald fahren, dass ein väterliches Machtwort etwas bei den Kindern bewirkte […]. Man durfte alles, war ja wer, auserwählt. Privilegiert. […]“ (S. 41)
Im Jahr 1929 erhält Thomas Mann den Literaturnobelpreis. Klaus und Erika verfolgen die Zeremonie der Preisverleihung im Radio. Beide amüsieren sich, zumal ein Reporter ihren Vater als „»frackgewohnte Erscheinung«“ bezeichnet.
Die Ehrung ist ein Erfolg für die Familie, doch für Klaus Mann ist der Zeitpunkt der Preisverleihung eine Niederlage. Er hat kurz vorher seinen Roman, ein Opus über Alexander des Großen, veröffentlicht und steht nun im Schatten seines Vaters. Kritiker zerreißen sein Werk.
„Rudolf Arnheim hatte Klaus in der Weltbühne erbarmungslos vorgeführt: »Er wandte den streng gewordenen Blick zum Wasser, das erbleichte und sich frierend kräuselte.« Diesem Zitat aus Klaus' Roman hatte der Kritiker einen sarkastischen Kommentar folgen lassen: »So etwas darf kein Schriftsteller vom Wasser verlangen.«“ (S. 8)
Erika hingegen nimmt es leicht und ermutigt ihn nicht aufzugeben.
Erika Mann spielt eine entscheidende Rolle im Leben ihres Vaters, Thomas Mann. Sie unterstützt ihn nicht nur emotional, sondern hat auch einen starken Einfluss auf seine Entscheidungen, insbesondere während der turbulenten Zeiten des Zweiten Weltkriegs und der Nachkriegszeit in Deutschland.
Als die Nazis an die Macht kommen, ermutigt sie Thomas Mann dazu, nach Amerika zu emigrieren, da die Situation in Deutschland immer bedrohlicher wurde. Diese Entscheidung erweist sich als lebensrettend für die Familie Mann und ermöglicht es ihnen, dem Terrorregime der Nazis zu entkommen.
Auch nach Kriegsende behält Erika Mann eine kluge Perspektive auf die politische und gesellschaftliche Lage in Deutschland. Als Thomas Mann in Betracht zieht, eine Rede in der Paulskirche zum 200. Geburtstag von Goethe zu halten, ist sie diejenige, die ihm davon abrät. Dies geschieht aufgrund der Tatsache, dass Thomas Mann von einigen Deutschen als Verräter angesehen wird, vornehmlich wegen seiner deutlichen Opposition gegen das Nazi-Regime während seines Exils.
Erikas Rat reflektiert nicht nur ihr Verständnis für die öffentliche Wahrnehmung ihres Vaters, sondern auch ihre Fähigkeit, kluge und vorausschauende Entscheidungen zu treffen, um seine Sicherheit und Reputation zu schützen. Ihre enge Bindung zu Thomas Mann und ihr politisches Gespür machen sie zu einer wichtigen Figur in seinem Leben und in der Geschichte der Mann-Familie.
»Ich brauche ihren Vigor«, so drückt er (Thomas Mann) sich aus. [...] Als Sekretärin und Adjutanten ist Erika ihm unverzichtbar." (vgl. S.242)
Unda Hörner lässt in ihrem Roman Solange es eine Heimat gibt Erika Mann, Erikas Gedanken und Erzählung zwischen Vergangenheit und Gegenwart fließen.
Es entsteht eine faszinierende und inspirierende Biografie von Erika Mann, die reiche Einblicke in ihr Leben und ihre Persönlichkeit widerspiegelt. Ihre Energie, ihr Engagement und ihr vielfältiges Wirken machen sie zweifellos zu einer bemerkenswerten Figur der Weltgeschichte.
Das Buchcover mit dem Portrait of Ira Perrot, 1930 von Tamara de Lempicka, zeigt eine Frau mit dunklem gewelltem Haar im weißen Kleid, die einen großen Bund weißer Callas hält und von einem roten Schultertuch begleitet wird.
Die Wahl des Gemäldes ist passend für die visuelle Darstellung von Erika Manns Persönlichkeit und ihrer lebendigen, aber auch komplexen Lebensgeschichte.
Fazit
Unda Hörner setzt mit ihrem Roman ein wunderbares literarisches Denkmal für eine außergewöhnliche Frau. Solche Werke können nicht nur dazu beitragen, das Leben und Wirken bemerkenswerter Persönlichkeiten zu würdigen, sondern auch helfen, ihre Geschichte und ihre Inspiration für kommende Generationen lebendig zu halten.
Solange es eine Heimat gibt – Erika Mann
Unda Hörner
Biografie
Ebersbach & Simon
Erschienen im Februar 2024
Arbeit zitieren
Autorin Petra Gleibs, April 2024, Buchvorstellung Unda Hörner, Solange es eine Heimat gibt Erika Mann, https://www.lesenueberall.com/solange-es-eine-heimat-gibt/
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