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Täuschend echt

Bestsellerautor Charles Lewinsky hat einen Roman über Künstliche Intelligenz geschrieben – und dabei selbst KI genutzt. Sein Buch “Täuschend echt“ ist jedoch kein kulturpessimistisches Klagelied, sondern ein überraschend spielerisches Werk voller Raffinesse.

 

Der Inhalt ist schnell erzählt: Ein Werbetexter steht plötzlich vor den Trümmern seines Lebens: Liebe, Geld und Karriere – alles verloren. Doch mit Hilfe künstlicher Intelligenz gelingt ihm ein Neustart. Die Technologie unterstützt ihn dabei, ein Buch zu verfassen, das als „wahre Schicksalsgeschichte“ gefeiert wird und große Aufmerksamkeit erregt.

 

Es geht nicht primär um eine spannende oder außergewöhnliche Geschichte, vielmehr steht die Frage im Vordergrund, ob es möglich ist, mit einer KI einen Roman zu schreiben. Diese Frage beleuchtet Lewinsky auf geschickte, oft ironische und sarkastische Weise. Er verknüpft seine Figuren und Handlungsebenen auf raffinierte Weise miteinander. Einerseits erschafft er fiktive Charaktere im Kontext der KI, andererseits bezieht er reale Figuren ein, bis schließlich beide Ebenen miteinander verschmelzen. Für die Leser:innen wird es zunehmend schwierig zu unterscheiden, was von der KI stammt und was real ist.

 

Lewinsky spielt gezielt mit der Metaebene, indem er sein Publikum immer wieder aus der Perspektive eines neutralen Beobachters der „Froschperspektive“ auf die Handlung blicken lässt, um diese zu reflektieren und zu bewerten. Einzelne Ereignisse und Figuren werden dabei oft stark überzeichnet, und nicht alles fügt sich nahtlos zusammen. Besonders spannend: Die KI erhält plötzlich eine eigene Identität und wird unter dem Namen „Kirsten“ fast schon zu einer Person.

Gleichzeitig verschwimmen die Grenzen zwischen Realität und Fiktion die Geschichte formt sich zunehmend in Echtzeit.

 

Die Figur Schabnam, ursprünglich nur ein fiktiver Charakter, gewinnt für die Leser:innen zunehmend an realer Präsenz. 

 

„Seit er das Buch gelesen habe, sei er Schabnam in Gedanken so nahegekommen, dass es ihm nun ein Bedürfnis sei, sie auch persönlich kennenzulernen“ (S. 199)

 

Diese Verschmelzung von Metaebene und Erzählung lädt dazu ein, nicht nur die Handlung zu verfolgen, sondern auch die Mechanismen und Entscheidungen zu betrachten, die hinter dem Geschichtenerzähler stehen. Beide Erzählstränge gleichen einem Spiegel des kreativen Prozesses selbst.

 

Der Ausdruck „Täuschend echt“ ist widersprüchlich – ein sogenannter Oxymoron. Genauso widersprüchlich ist der Roman. Beim Lesen von „Täuschend echt“ entfalten sich zwei Romane: Die Geschichte eines gescheiterten Werbetexters und der Bestseller „Angst!, der mithilfe Künstlicher Intelligenz entsteht. 

 

Die KI-Passagen, von Lewinsky sind mit Tools wie „ChatGPT“ und „Neuroflash“ generiert, kursiv hervorgehoben und stehen den originären Zeilen des Autors gegenüber. Sie zeigen, was KI aus Abermillionen Internetquellen schöpft.

 

Das Ende ist verblüffend.

 

Fazit

Werden wir eines Tages eine neue Form von Literatur, von Schöpfung und Denken, die in der Fiktion und Wirklichkeit untrennbar miteinander verwoben sind erleben?

Charles Lewinsky zeigt eindrucksvoll, welche Sogkraft das Internet entwickeln kann: wie es Menschen in Abhängigkeiten verstrickt und sie dabei zunehmend von der Realität entfremdet. Obwohl Lewinsky keinen wissenschaftlichen Diskurs über die Zukunft der KI in der Literatur führt, sondern einen Unterhaltungsroman geschrieben hat, bietet das Werk reichlich Stoff zum Nachdenken.

 

Fazit von Kirsten

In diesem packenden Roman entfaltet sich eine fesselnde Geschichte über Verlust, Neuanfang und die Macht von Wahrheit und Lüge. Der Protagonist, ein Werbetexter am Abgrund, nutzt künstliche Intelligenz, um sich aus der Krise zu retten – doch der Preis für seinen Erfolg ist hoch. Die clevere Verknüpfung von technologischem Fortschritt und menschlicher Abgründigkeit macht den Plot besonders reizvoll. Die Spannung erreicht ihren Höhepunkt, als die ehemalige Geliebte auftaucht, deren Wissen die glänzende Fassade des gefeierten Autors bedroht. Ein intelligenter, vielschichtiger Roman, der Fragen über Authentizität und moralische Grenzen in einer KI-gesteuerten Welt aufwirft. Ein echter Pageturner! (ChatGPT)

 

 

Charles Lewinsky

Täuschend echt

 

Diogenes Verlag AG, Zürich 

erschienen am 23. Oktober 2024

 

 

 

Arbeit zitieren

Autorin Petra Gleibs, November 2024, Buchvorstellung Täuschend echt, Charles Lewinsky

https://www.lesenueberall.com/t%C3%A4uschend-echt/

 

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