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Umlaufbahnen

Inmitten unseres Alltags, in dem wir die Erde oft nur aus der Nähe betrachten – als bloßes Fundament unserer Städte, als Bühne für Flora, Fauna und die rastlose Hektik des Lebens – eröffnet dieser Roman eine ganz andere Dimension. Es nimmt uns mit, hinaus ins All, hin zu einer Perspektive, die unsere Vorstellungskraft sprengt. Aus Millionen von Kilometern Entfernung enthüllt sich unser Planet als schwebendes Wunder, ein leuchtender Punkt in der Dunkelheit, gleichermaßen zerbrechlich wie majestätisch.

 

Hier gibt es keine lineare Handlung, keine fiktiven Helden. Stattdessen entfaltet sich eine tiefgründige Reflexion, durchzogen von den Stimmen jener, die die Umlaufbahn durchstreifen – Astronauten, deren Erfahrungen die Grenzen von Philosophie und Wissenschaft überschreiten. Sie berichten von der atemberaubenden Harmonie der Erdkugel, von der stillen Eleganz der wechselnden Schatten zwischen Tag und Nacht, vom Glitzern der Ozeane, das mit den Sternen zu wetteifern scheint.

 

"So einsam sind sie in ihrem um die Erde kreisenden Raumschiff und gleichzeitig einander so nah, dass ihre Gedanken, ihre individuellen Mythologien, bisweilen zusammenfinden." (S. 7)

 

Einsamkeit und Nähe verschmelzen, wenn Verbundenheit entsteht, selbst über große Distanzen hinweg.

 

Der Blick durch das Fenster der Raumstation ist fesselnd, klar und still – eine Stille, die dennoch alles sagt.

 

Die Autorin beschreibt präzise und dennoch poetisch, eine Symbiose aus Biologie, Geografie, Astronomie und einem Hauch von Melancholie. Sie verleiht der Beschreibung von Fjorden und Gebirgen eine unerwartete Intimität, lässt selbst die Kälte des Weltalls in einem neuen, fast tröstlichen Licht erscheinen.

 

Die sechs Astronauten erleben vereint eine Stille, die keineswegs leise für sie bleibt. 

 

Die Astronauten blicken auf die Erde hinab, während ihre Gedanken schwerelos schweben, erfüllt von Flashbacks und Albträumen. Der Text thematisiert die fragile Verbindung zwischen Mensch und Natur, zwischen persönlichen Schicksalen und den unbändigen Kräften der Erde. Die Astronauten, physisch weit entfernt von der Erde, erleben dennoch tiefe emotionale Verbindungen zu ihr. Chies Trauer um ihre Mutter spiegelt die Einsamkeit wider, die auch im scheinbar grenzenlosen Raum existiert.

 

„Als Chie vom Tod ihrer Mutter erfuhr, hat sie sofort eines der wenigen irdischen Besitztümer, die sie im Orbit bei sich hat, zur Hand genommen - ein Foto, das ihr die Mutter vor dem Aufbruch ins All gegeben hat.“ (S. 97)

 

Gleichzeitig zeigt der Taifun die unaufhaltsame Macht der Natur, die selbst aus der Distanz spürbar ist. 

 

„Dort, in dieser Leere, sammelt der Taifun seine Kräfte.“(S. 41)

 

Samantha Harvey stellt in ihrem Roman nicht nur die großen philosophischen Fragen über das Leben, sondern thematisiert auch den realen Alltag an Bord, Experimente und welche körperlichen Veränderungen der Aufenthalt im All mit sich bringt. Die Experimente mit Mäusen und Pflanzen symbolisieren den Versuch, Leben und Fortbestand unter extremen Bedingungen zu erforschen. Die beschleunigte Alterung des Körpers zeigt die Konsequenzen dieser isolierten und unnatürlichen Umgebung auf die menschliche Physiologie.

Dabei wird die fragile Grenze zwischen der geschützten Sicherheit des Raumschiffs und der unberechenbaren Weite des Alls, das jederzeit von unsichtbaren Gefahren bedroht ist, deutlich. 

 

„An der äußeren Hülle des Raumschiffs ist ein Riss aufgetaucht. Fein, aber dennoch besorgniserregend.“ (S. 159)

 

Die äußere Titanhülle des Raumschiffs steht für den Schutz, den es bietet, doch der „haarfeine Riss“ verweist auf eine latente Gefahr, die ständige Möglichkeit, dass dieser Riss sich öffnen könnte. Er verkörpert die Zerbrechlichkeit menschlicher Existenz im All, eine dauerhafte Unsicherheit, die in der Stille des Weltraums beinahe greifbar wird.

 

Fazit

"Ebenso wie Körper im Weltraum Licht aussenden, rieseln dort draußen auch elektromagnetische Schwingungen durch Vakuum. Übersetzt man diese Schwingungen in Töne, verströmt jeder Planet seine eigene Musik, den Klang seines Lichts." (S. 220) 

Ich finde diesen Schluss wundervoll geschrieben. Er klingt beruhigend, so als wäre man selbst in dem weiten, leeren Raum, und von überall klingt Musik. Jeder Planet hat seine "eigene Musik" und vermittelt das Bild einer kosmischen Harmonie, in der Licht und elektromagnetische Wellen in Klänge verwandelt werden. Es erzeugt das Gefühl, Teil eines riesigen, lebendigen Universums zu sein, in dem selbst die Stille von einer Art Klang erfüllt ist, dass man den Eindruck gewinnt, in einem unendlichen Raum von Musik umgeben zu sein. 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Samantha Harvey

Umlaufbahnen

Aus dem Englischen von Julia Wolf

Verlag: dtv

 

 

 

 

Arbeit zitieren

Autorin Petra Gleibs, Januar 2025, Buchvorstellung  Samantha Harvey, Umlaufbahnen  

 https://www.lesenueberall.com/umlaufbahnen/ 

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